Leder, Hiebe, Leidenschaft

■ Olympia-Touristin Hannelore P. genießt Salt Lake City

Hannelore P. fühlt sich dort am wohlsten, wo es anderen eher mulmig wird. Sicherheitskontrollen, Drogenfahndung und Personenkontrolle. Wenn Polizisten bei ihr Hand anlegen, kann es kaum gründlich genug sein. „Ich bin sehr fürs Filzen“ bekennt die 65-Jährige freimütig, nur: wann kommt man hierzulande schon mal in Berührung mit den uniformierten Berufsgrapschern? Jahrelang balgte sich die ehemalige Buchhändlerin auf Maidemonstrationen in vorderster Front, versuchte es mit Sitzblockaden, verkehrte im Bahnhofsmilieu. Doch lange kam dieses Doppelleben für sie nicht in Frage. Die quälenden Nachforschungen ihrer Familie und aus dem Kollegenkreis verdarben die Lust am koketten Spiel mit Lederhandschuhen, Schlagstock und Schelle.

Bei den olympischen Winterspielen 1956 in Cortina d'Ampezzo kam schließlich die Offenbarung: Umarmt von der Sicherheitskette, die italienische Beamte um den Zieleinlauf des Riesenslaloms gebildet hatten, erlebte Hannelore Paepcke die drei Siege des Toni Sailer. „Seitdem lässt mich das besondere Flair der Spiele nicht mehr los.“ Uniformierte Kerle, die mit Agentenmiene in ihre Sprechfunkgeräte raunen, ackurate Einlasskontrollen vor den Stadien, Bombendrohungen – auf ihren 22 Olympiaden, darunter München, Mexiko und Atlanta, hat die Uniform-Fetischistin bereits zahlreiche Abenteuer erlebt.

Mit ihrer Leidenschaft ist Frau P. nicht allein. In ihrem Heimatort hat sie bereits einen Verein für beschwingte Olympia-Fans gegründet. Für eine Sextouristin hält sie sich jedoch nicht. Sonst würde sie wohl kaum in die spießige und prüde Mormonen-Metropole Salt Lake City fahren um sich ihre 23. Olympischen Spiele anzuschauen. Aber reizvoll sind die verschärften Sicherheitskontrollen allemal. Jochen Becker