Opfergelder für die Staatskasse

In Schweden deponierte Sparguthaben von Holocaust-Opfern fallen an den Staat. Die Ansprüche von Angehörigen sind verjährt, eine Ausnahmeregelung ist nicht vorgesehen

STOCKHOLM taz ■ „Information über herrenlose Konten ausländischer Kontoinhaber“: In ganzseitigen Anzeigen in großen internationalen Zeitungen ließ eine schwedische Regierungskommission im März 1998 eine lange Namensliste veröffentlichen. Es ging um KontoinhaberInnen, deren Name oder Wohnort auf eine ausländische Herkunft hinwies und deren Konten seit 1945 nicht bewegt worden waren. Die Kommission sollte Guthaben jüdischer Besitzer auf schwedischen Konten nachspüren – von Inhabern, die keine Ansprüche mehr stellen können, weil sie in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden.

Mit der Liste wurden mögliche Rechteinhaber aufgefordert, ihre Ansprüche in Stockholm anzumelden. Unter den Namen fand sich auch der von Issers Tankelovics aus Riga in Lettland. Er hatte vor 1940 bei einem Konto einer Vorgängerbank der jetzigen SEB-Bank rund 35.000 Kronen eingesetzt. Tankelovics’ Familie wurde nach Stalins Einverleibung der baltischen Republiken in die Sowjetunion nach Sibirien deportiert, wo sie überlebte. Als Hitlers Truppen 1941 in Lettland einmarschierten, begann dort unmittelbar eine Aktion „judenfrei“, der auch Issers Tankelovics zum Opfer fiel.

Nachkommen einer Schwester von Tankelovics leben in Deutschland. Sie hatten keine Ahnung von dem Konto in Stockholm. Nach einem Kontakt mit der SEB-Bank und der Vorlage von Nachweisen ihrer Berechtigung und des Todes des Kontoinhabers erhielten sie Bescheid, dass man die fünffache Summe, 20.000 Euro, auszahlen werde.

Da schlug das schwedische Erbrecht zu. Danach verjähren alle Erbansprüche 10 Jahre nach dem Tod des Erblassers. Tauchen danach noch Guthaben oder Vermögen auf, oder melden sich Erben erst nach dieser Frist, greift der Staat zu – in Form eines „Allgemeinen Erbschaftsfonds“. Gelder aus diesem Fonds werden für „wohltätige Zwecke“ verwendet. Bertil Kallner, für den Fonds zuständiger Jurist: „Wir haben uns beim Außenministerium, das die Regierungskommission einsetzte, rückversichert: Es wurde keine spezielle Regelung getroffen. Alle Ansprüche von Angehörigen sind verjährt.“

Der Fall Tankelovics ist ein Präzedenzfall. Zwar erwies sich, dass die meisten der 600 Namen auf der Liste nach Amerika Ausgewanderten gehörten. Doch warten noch eine Reihe Ansprüche von Nachkommen von KZ-Opfern auf Bearbeitung. Juristisch ist die Entscheidung des „Erbschaftsfonds“ kaum angreifbar. Eine Ausnahmeregelung war vergessen worden, und es scheint unsicher, ob eine solche rückwirkend möglich ist.

REINHARD WOLFF