Die Angst vor Erdbeben kehrt zurück

Bei dem Erdstoß in der Türkei werden 45 Menschen getötet und 170 zum Teil schwer verletzt. Obgleich Rettungsdienste diesmal schneller und effektiver arbeiten, zeigen sich erneut gravierende Mängel bei der Vorbeugung gegen derartige Katastrophen

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Knapp drei Jahre nach dem verheerenden Erdbeben im Großraum Istanbul wird nun erneut Bilanz gezogen: 45 Tote, 170 zum Teil schwer Verletzte und über 150 eingestürzte Häuser. Das ist das traurige Ergebnis des Erd–stoßes, der mit 6,0 auf der Richterskala am Sonntag die Region um Afyon erschütterte. Für die Fernsehzuschauer in Istanbul, Izmit, Düzce und den anderen Städten, die im August 1999 betroffen waren, sind die Bilder aus Sultandagi, Bolvadin und Cay ein einziges Déjà-vu. Appartementblocks, die wie Kartenhäuser zusammenkrachen, Fabrikhallen bei denen die Dächer einstürzen, und Moscheen, deren Minarette umknicken wie Streichhölzer.

Dabei hatten die Menschen noch Glück im Unglück: Weil es Sonntag war, waren die meisten Geschäfte, Fabriken und alle Schulen geschlossen. Das Beben, dem insgesamt 28 Nachbeben folgten, hatte eine große Zerstörungskraft, weil es dicht unter der Erdoberfläche stattfand.

Im Gegensatz zu der Katastrophe von 1999 kamen die Rettungsaktionen dieses Mal schneller in Gang. Auch Zelte und Decken wurden angeliefert, das Militär baute Notunterkünfte auf und Ministerpräsident Bülent Ecevit war bereits am Nachmittag vor Ort und versprach weitere Hilfe. Schon am späten Sonntagabend wurde die Suche in den Trümmern eingestellt, weil man keine Lebenden mehr in den zusammengebrochenen Häusern vermutete.

Der eigentliche Albtraum, den die Medien in der Türkei nun beschwören, ist nicht so sehr das konkrete Ausmaß des neuerlichen Bebens, sondern der Mangel an Vorsorge, der erneut deutlich geworden ist. Welche Konsequenzen aus dem Desaster der einstürzenden Neubauten 1999 gezogen wurden, konnte man nun besichtigen. Wieder stürzte ein ganzer Block neugebauter Appartements in sich zusammen – zum Glück war er noch nicht bezogen –, der nach den neuesten Vorschriften niemals hätte einstürzen dürfen.

Schlagartig ist die Angst in der 12-Millionen-Metropole Istanbul wieder da, wo die Menschen sich erneut fragen, was eigentlich getan wird, um einer Erdbebenkatastrophe in der Stadt vorzubeugen. Zwar werden ab und zu Katastrophenschutzübungen abgehalten, aber sonst hat sich nicht viel getan.

Das Zentrum des jetzigen Bebens lag mitten im westlichen Hochland Anatoliens, rund 200 Kilometer nördlich des bekannten Ferienorts Antalya. Die Provinzhauptstadt Afyon kam im Wesentlichen mit dem Schrecken davon, betroffen waren Kleinstädte und Dörfer rund 30–40 Kilometer von Afyon entfernt. Während es an der Küste in Antalya bereits 20 Grad warm ist, liegt im Hochland teilweise noch Schnee und nachts fällt die Temperatur auf Minus 4–5 Grad.

Da die hastig aufgebauten Zelte nicht beheizt werden können, sammelten sich die meisten Leute um große Feuer, die im Freien die ganze Nacht brannten. Wann und ob sie in ihre zum Teil schwer beschädigten Häuser zurückkehren können, ist unklar. Experten warnen vor neuen Nachbeben.