american pie
: New Englands Super-Bowl-Sieg passt perfekt

Kein Zeit für Dynastien

Man stelle sich vor, Hansa Rostock legt vom heutigen Bundesliga-Match in Dortmund an eine phänomenale Siegesserie hin, fegt am letzten Spieltag die Bayern in deren Stadion ab und wird Deutscher Meister. Das wäre in etwa das Szenario, welches die National Football League (NFL) gerade erlebt hat. Was im deutschen Fußball undenkbar scheint, ist im amerikanischen Sport aber so ungewöhnlich nicht. Die Begrenzung der Gehaltssumme, welche die Teams für ihre Spieler ausgeben dürfen, und die auch dadurch bedingte Wechselfreude der Topstars sorgt dafür, dass die dauerhafte Dominanz einzelner Mannschaften ebenso selten geworden ist wie die festgeschriebene Erfolglosigkeit anderer. Im besonderen Maße gilt dies für den Football.

Der überraschende Titelgewinn der New England Patriots gegen die hochfavorisierten St. Louis Rams passt zur aktuellen Lage, und zwar nicht wegen der viel zitierten Koinzidenz von patriotischem Klubnamen und patriotischem Brimborium bei der Super Bowl in New Orleans. Die Patriots sind der dritte Champion in Folge, der in der Saison zuvor eine ziemlich grauenhafte Bilanz hatte und fast aus dem Nichts nach oben schoss. Die Rams hatten, als sie 2000 die Super Bowl gewannen, im vorherigen Jahr lediglich vier Matchs für sich entschieden, die Baltimore Ravens vor ihrem Titelgewinn 2001 acht, New England gerade fünf. Auf der anderen Seite schafften drei Finalisten der letzten beiden Jahre – Tennessee, Baltimore und New York Giants – jetzt nicht mal die Play-offs. Sieben verschiedene Mannschaften standen in den letzten vier Super Bowls, bloß St. Louis schaffte ein Comeback. Kein Wunder, dass unter diesen Umständen der kühne Traum des Rams-Quarterbacks Kurt Warner, eine „Dynastie“ zu begründen, wie einst San Francisco 49ers oder Dallas Cowboys, und mindestens fünf Mal die Super Bowl zu gewinnen, beim 17:20 gegen New England schnell platzte.

„Das ist im heutigen Leben eben so“, sagt Patriots-Coach Bill Belichik, „jedes Team wechselt von Saison zu Saison Spieler aus, jedes Team verliert Leute, die es nicht verlieren will.“ Das gelte auch für seine Mannschaft, doch gar zu besorgt muss der Trainer kaum sein. Außer Drew Bledsoe waren die Patriots ohne Begehrlichkeit weckende Superstars in die Saison gegangen, und ausgerechnet der Quarterback spielte kaum. Die Namen der meisten Akteure prägten sich den Football-Fans erst in den Play-offs ein, allen voran natürlich der des 24-jährigen Quarterbacks Tom Brady. Der hatte Bledsoes Platz eingenommen und ihn mit seiner starken Leistung von New Orleans, wo er zum besten Spieler gewählt wurde, endgültig in die zweite Reihe verwiesen und wohl auch aus der Stadt gejagt. Der 29-jährige Bledsoe wird Boston sicherlich verlassen und, da er erst vor der Saison einen Zehnjahresvertrag über 103 Millionen Dollar erhalten hatte, eine Menge Gehalt für Verstärkungen freimachen.

Dass den Patriots noch einmal solch ein Coup wie diesmal gelingt, darf trotzdem bezweifelt werden. Bei den Buchmachern sind erneut die St. Louis Rams der große Favorit für 2003, New England hat sich immerhin von 1:50 auf 1:15 verbessert. Vermutlich gewinnt jedoch wieder jemand ganz anderes, vielleicht sogar das neue Team von Drew Bledsoe. Welches das sein wird, ist dabei eigentlich ziemlich egal.

MATTI LIESKE