Authentisch gegen Authentizität

Generationswechsel im Dancehall: Ward 21 in der Markthalle  ■ Von Nils Michaelis

Ein saftiges Image – alte Marketing-Weisheit – ist die halbe Miete, wenn's ums Verkaufen geht. Die Musikindustrie im Allgemeinen, und deren Segmente Dancehall und Reggae im Besonderen, machen hier keine Ausnahme. Doch anders als in anderen Sparten der Branche, wo Images quasi im Reagenzglas gezüchtet werden, verhält es sich mit den Role-Models im Dancehall wie mit den Claims in einer Goldgräbergegend: Umgeben von Gesetzlosigkeit sind sie hart umkämpft. Neue Schürfgründe aufzutun ist schwer, denn den Lack des Images lässt das kritische Dancehall-Publikum nur auf entsprechenden Persönlichkeiten haften. Neue und akzeptierte Images kann da nur ein Generationswechsel bringen. Letzteres repräsentieren nun Ward 21. Mentally Disturbed heißt ihre jüngste Platte, zu deutsch „geisteskrank“.

Spät, aber nicht zu spät deutet sich damit ein Ausweg aus dem Einerlei an, in dem sich Dancehall in den letzten Jahren festgefahren hatte. Zu oft waren es die Dimensionen Härte und Entschiedenheit, mit denen sich nachwachsende Künstler vor alten, vorgeblich schlaff gewordenen Stars profilieren wollen. So brachte ein Buju Banton mit dem Furor der Authentizität einen besonders konfrontierenden Ras-tafarismus auf den Plan. Bis Capleton kam und sich mit den Insignien einer noch orthodoxeren Sekte schmückte. Abgehängt fanden sich beide dann von Sizzla, dessen Afrozentrismus noch schriller und – zumindest zeitweise – noch erfolgreicher war.

Abstand zu diesem Diktum der reinen Lehre deutete erstmals der smarte Beenie Man an. Auf seiner jüngsten CD gab er sich internationalistisch und mischte Dancehall mit HipHop und Calypso und stand auch sonst für gelassenere Umgangsformen. An diesem Punkt ging Red Rat einen Schritt weiter. Seine Auftritte verströmten die Aura eines Musicals, trieben die Künstlichkeit auf die Spitze und waren ziemlich lustig. Doch das Image des verrückten Huhns, für das sich Red Rat in rote Klamotten zwängte und die Haare blondierte, sollte noch nicht das letzte Wort sein.

Ward 21, benannt nach der psychiatrischen Abteilung des Kingstoner Universitäts-Krankenhauses, wollten anlässlich ihrer unlängst veröffentlichten CD nichts dem Zufall überlassen und setzten auf dem Cover einen debilen Gesichtsausdruck auf und trugen Zwangsjacken. Dafür, dass Ward 21 einen Generationswechsel anführen, steht die Tatsache, dass zu den heimatlichen Auftritten der gelegentlichen Synchrontänzer Heerscharen weiblicher Teenies strömen. Denn was ein Beenie Man nur anklingen ließ, das gerinnt bei Ward 21 zu einem handfesten Image: eine authentische Abkehr vom Gestus der Authentizität, konsequent inszeniert durch Zeichen und Sounds der Unzurechnungsfähigkeit. Der Jamaican Gleaner, Jamaikas wichtigste Tageszeitung, nannte sie „die momentan heißeste Dancehall-Gruppe“ und verglich das Potenzial ihres Riddims „Volume“ mit „einer Kiste voll TNT, abgestellt an einer verkehrsreichen Tankstelle“.

Musikalisch bedienen sie sich Ward 21 dazu eines Gesangs, der an das hysterische Gekeuche eines Busta Rhymes oder des Wu Tang Clan erinnert. Die Experimente mit ungewöhnlichen Taktmaßen, die ein Timbaland im R'n'B anstellte, kommen einem in den Sinn, hört man ihr „President of Hoochie Land“. Eine dünn klingende Harmonie, gespielt auf dem Keyboard, trifft auf einen unrund programmierten Schlagzeugrhythmus. Erst dem verschachtelt reimenden Gesang gelingt es, die unverbunden herumstehenden Instrumente zur Einheit zu verschnüren. Oder der Gesang von „Ganja Smoke“: Obwohl auf einen vergleichsweise konventionellen Riddim basierend, wird hier die leidende Inbrunst des Gospelgesangs auf eine Weise übertrieben, dass sich „Ganja Smoke“ fast zur Anti-Drogen-Hymne umkehrt.

Dass ihre guten Ideen auch gut klingen, haben Ward 21 nicht zuletzt ihrem Produzenten King Jammy zu verdanken. Jammy steht für eine große Tradition. Der Meisterschüler des legendären Dub-Erfinders King Tubby machte mit den meisten der heute auf Jamaika tonangebenden Künstler Aufnahmen. Und doch war es in letzter Zeit erstaunlich still um ihn geworden. Bis sich vier Jungs aus der Nachbarschaft namens Kunley McCarthy, Andre Gray, Mark Henry und Ranaldo „Rumblood“ Evans in seinem Studio herumtrieben und Jammy begann, sie mit der Studiotechnik vertraut zu machen. Ihre Begabung erkennend, gründete er für sie ein Label, ebenfalls Mentally Disturbed geheißen. Kurz, er brachte ihnen bei, wie man, einigermaßen autonom bleibend, Wahnsinn in höchst unwahnsinnigen, nämlich kontrollierten Bahnen verlaufen lässt. Denn Authentizität, vielleicht ist das Jammys Lehre, sollte man nicht damit verwechseln, sich ein Image zu sehr zu Herzen zu nehmen.

mit Mr. Vegas: Sonnabend, 21 Uhr, Markthalle