Schattenseiten des Alltags

■ Die finnische Autorin Leena Lehtolainen stellt ihren frisch übersetzten Roman „Zeit zu sterben“ im Café Libresso vor

Mit Finnland assoziert man lange, dunkle Winter und, nicht zuletzt Dank der Filme von Mika und Aki Kaurismäki, schwermütige Menschen. Dass die Heldin in dem eben auf deutsch erschienenen Buch Zeit zu sterben von Leena Lehtolainen das Leben nicht gerade leicht nimmt, liegt allerdings weniger am finnischen Winter.

Als Mitarbeiterin eines kirchlichen Frauenhauses in Helsinki ist Hauptfigur Säde schon mit reichlich Elend konfrontiert, und in ihrem Privatleben stellt ihre einäugige Katze noch das Erfreulichste dar. Das gilt jedenfalls zunächst. Im Verlauf der Handlung entwi-ckelt Säde immer mehr Kampfgeist. Die angepasste, verständnisvolle Sozialpädagogin beschließt, prügelnde und tötende Männer nicht mehr gewähren zu lassen. Die Frage, wie man therapieunwilligen Schlägern beikommen kann, außer sie hinter Gitter zu bringen, was ja bekanntlich aus niemandem einen besseren Menschen macht, wird nicht beantwortet, sondern nur aufgeworfen.

Familiäre Konflikte und Gewalt gegen Frauen werden von der 1964 geborenen Autorin recht lebensnah geschildert und nehmen als Alltagsprobleme der finnischen Gesellschaft viel Raum in dem Roman ein. Die Geschichte entwickelt aber darüberhinaus ihre eigene Dynamik und gewinnt gerade in der zweiten Hälfte zunehmend an Spannung. Männer werden plötzlich zu Opfern – zu Mordopfern. Zeit zu sterben ist folgerichtig ein Krimi, wenn auch kein klassischer. Die rothaarige Kommissarin, die sonst bei Lehtolainen die Hauptrolle einnimmt, taucht nur am Rande auf, und es geht eigentlich um etwas ganz anderes, als einen Mörder dingfest zu machen.

Von Lehtolainen, die sich in Finnland als Krimiautorin schon längst einen Namen gemacht hat, war hierzulande mit Kupferglanz in der Ariadne-Reihe des Argument Verlags nur eines ihrer Werke erhältlich. Wer nun glaubt, Lehtolainen eindeutig in die Schublade der Frauenkrimis stecken zu können, täuscht sich jedoch. Die Linie zwischen Gut und Böse verläuft nicht entlang der Geschlechtergrenzen.

Spezifisch für Finnland sind vielleicht Artikel wie Winterreifen für Fahrräder. Die Schattenseiten entsprechen, wenn man Lehtolainens Darstellung von patriachaler Beziehungsgewalt folgt, auch in der Nähe des Polarkreises leider den weltweiten Gepflogenheiten. Und dies, obwohl den Finninnen gemeinhin ein für europäische Verhältnisse hoher Grad an Emanzipation nachgesagt wird. Ihre Lesereise führt die Autorin heute nach Hamburg. Ariane Dandorfer

Lesung: Do, 20 Uhr, Café Libresso, Uni-Hauptgebäude, Flügelbau-West (Edmund-Siemers-Allee 1). Leena Lehtolainen, Zeit zu sterben, Rowohlt 2002, 286 S., 8,90 Euro