Annäherung auf Kosten der Opfer

Abchasier, die vor dem Bürgerkrieg nach Georgien flohen, sollen zurückgeschickt werden. So will Georgiens Präsident die Beziehungen zu Russland verbessern. Moskau mutmaßt schon lange Verbindungen zu tschetschenischen Rebellen

MOSKAU taz ■ Nolens volens zurückkehren müssen Tausende von abchasischen Flüchtlingen, die sich in letzter Zeit in der Schlucht von Pankissi in Georgien häuslich niedergelassen hatten. Zusammen mit Mitarbeitern des russischen Sicherheitsministeriums begannen georgische Sicherheitskräfte in dieser Woche unter Mitwirkung der Betroffenen an Ort und Stelle einen Rückführungsplan auszuarbeiten.

Seit langem hatte Moskau den Verdacht gehegt, dass die Schlucht Mitgliedern tschetschenischer Banden als Refugium und Versorgungslager diene. Georgische Offizielle hätten sich bisher eher die Zunge abgebissen, als Letzteres zuzugeben. Doch in der letzten Woche äußerte plötzlich der Sekretär des Sicherheitsrates in Tblissi vor Journalisten: „Wir können nicht ausschließen, dass sich dort auch Personen befinden, die in Tschetschenien an Kampfhandlungen teilgenommen haben.“

Anlass zu diesem sensationellen Eingeständnis war ein Abkommen zwischen Russland und Georgien bei Pankissi. In den seit fast einem Jahrzehnt abgekühlten Beziehungen zwischen den beiden Staaten bezeichnete es eine sensationelle Wende. Einen weiteren Schritt in Richtung Annäherung an Russland tat auch Georgiens Präsident Eduard Schewardnadse, als er erklärte, die russische Friedenstruppe in der abtrünnigen georgischen Provinz Abchasien könne dort ruhig noch ein Weilchen bleiben. Georgische Kreise hatten in den vergangenen beiden Jahren eine riskante Politik betrieben, in dem sie tschetschenische Kämpfer gegen die Separatisten in Abchasien einsetzten. Die letzten Beschlüsse Schewardnadses zeigen eine Abkehr von diesem Kurs, der Georgien immer tiefer in einen gesamtkaukasischen Krieg zu verstricken drohte.

Tausende von georgischstämmigen Flüchtlingen aus Abchasien demonstrierten im Januar am Grenzfluss Inguri, der sie von ihrer Heimatprovinz trennt. Sie wurden in einem blutigen Bürgerkrieg 1992/93 aus ihrer Heimat vertrieben und fordern nun den Abzug der russischen Blauhelme, die sie ihrer Meinung nach an der Rückkehr hindern. Doch Schewardnadse lässt sich davon nicht beeindrucken, auch nicht von der fast einstimmigen Forderung seines Parlamentes, die Russen mögen gehen.

Die russischen Friedensbewahrer in Abchasien gelten als besonders diszipliniert. Die internationale Gemeinschaft schreibt es ihnen zu, dass es in den letzten Jahren in der Region nicht zu größerem Blutvergießen gekommen ist.

Anlass für die Standfestigkeit Schewardnadses gegenüber der Opposition im eigenen Lande und für die Nachgiebigkeit gegenüber Russland mag auch die Erkenntnis sein, dass die georgischen Sicherheitskräfte allein ein unbehelligtes Leben ihrer Bürger nicht mehr garantieren können. Dieser Gesinnungswandel ist auch ein Erfolg von Bürgerinitiativen in der Provinz Kachetien, nahe bei der Schlucht von Pankissi.

Die Bürger der dortigen Region sperrten einfach die durch die Provinz führenden Straßen und schlossen Schulen und Geschäfte. Der Grund: Tschetschenische Kriminelle verteilten in den Schulen der Nachbarschaft Drogen.

Besonders erbost hat die christlichen Kacheten, dass tschetschenische Banden vier hoch verehrte christliche Einsiedlermönche aus ihren Höhlen heraus in Geiselhaft nahmen. Gegenüber einer Korrespondentin der Tageszeitung Kommersant beschuldigten sie die örtlichen Milizen, sie seien „von den Tschetschenen gekauft“. „Wozu brauchen wir eine solche Polizei?“, riefen sie einem aus Tblissi geschickten Politiker entgegen. „Gebt uns lieber Waffen, eure Polizisten könnt ihr mitnehmen.“ BARBARA KERNECK