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Spiel Revolution

Für die junge Generation in China ist das heutige Theater untrennbar verbunden mit dem Namen Meng Jin Hui. Der 36-jährige Regisseur vom neu gegründeten Chinesischen Nationaltheater ist ihr großer Star.

Meng ist ein Phänomen im gegenwärtigen Theaterbetrieb Chinas. Seine Produktionen begeistern die einen und empören die anderen. Man nennt ihn Formalist, Populist, Avantgardist, Amateur, Ausnahmetalent und Karrierist. In jedem Fall ist er ein Provokateur, der in seiner Laufbahn Kontroversen und Ablehnung in Kauf genommen hat, um die Aufmerksamkeit der jungen Theaterbesucher zu gewinnen. Und damit hat er Erfolg. Seine Stücke sind ausverkauft, die Medien berichten ausführlich über ihn, und viele junge Theaterkünstler versuchen, seinen Stil nachzuahmen.

Meng begann seine Karriere vor zehn Jahren als Amateur, was damals einem Stigma gleichkam. Bis vor kurzem konnte eine professionelle Theaterausbildung nur in einer begrenzten Anzahl staatlicher Akademien und Schulen wahrgenommen werden, an denen ausschließlich Theorien und Techniken des Realismus unterrichtet wurden. Meng besuchte nie eine dieser Schulen. Stattdessen studierte er in Peking Sinologie, bevor er sich an der Central Academy of Drama für das Fach Regie einschrieb. Sein Außenseitertum war vorgezeichnet.

1991 schloss Meng sein Studium mit einer Aufführung von Becketts Warten auf Godot ab, mit der er seine Rebellion gegen die in Manierismus erstarrte realistische Theatertradition Chinas dokumentierte. Er belebte Becketts tristes Original mit Eleganz und jugendlicher Leidenschaft. Zwar übernahm er den surrealistischen Schauplatz: der Zuschauerraum ganz in weiß, der Bühnenhintergrund in schwarzweiß, ein großes Piano, ein Baum, der sich um sich selbst dreht, ein kaputtes Fahrrad. Aber statt der beiden alten Landstreicher sah das Publikum zwei frustrierte Pekinger Jugendliche, die einen schwülen Nachmittag vergammeln und sich heimlich nach den großen Dingen jenseits des Horizonts sehnen. Und zum Schluss des Stücks trat Godot tatsächlich auf – nur um von den beiden Burschen erwürgt zu werden. Respektlosigkeiten wie diese sind bis heute Mengs Markenzeichen.

Meng Jin Hui ist stark von der modernen westlichen Kunst beeinflusst. Klee, Dalí und Picasso sowie Autoren des Absurden Theaters inspirieren ihn. Allerdings meinen einige Kritiker, Meng fehle das richtige Verständnis für die westliche Moderne. Diese Kritik ist insoweit berechtigt, als Meng die europäischen Sprachen nicht gut genug beherrscht, um die kulturellen, historischen und sozialen Hintergründe völlig zu erkennen. Zugleich aber ermöglicht ihm sein vermeintliches Erkenntnisdefizit, das Vorgefundene nach dem Gefühl und nicht nach dem Intellekt zu interpretieren – das heißt, er ist in der Lage, mit dem Material zu spielen, wie es ihm gefällt.

Tatsächlich will Meng sein Publikum mit Spiel, Comedy und freier Improvisation unterhalten, nicht mit Psychologie. Sein Idol ist russische Theaterrevolutionär Wsewolod Meyerhold, der den Standpunkt vertrat, man gehe ins Theater, weil man ein Stück sehen wolle – und nicht das Leben. Damit ist Meng dichter an der chinesischen Wirklichkeit als viele seiner Kritiker. Inzwischen hat er sich sozialen Themen zugewandt und verspottet nun die Marotten und Laster einer Gesellschaft, die sich rasend der Marktwirtschaft anverwandelt. Sein Sarkasmus gegenüber dem bürokratischen Kapitalismus und der Vergötterung der USA ist einmalig für die chinesische Bühne. YU FANGÜBERSETZUNG: SANDRA SACHS

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