Eine Wunde, die sich nicht schließt

■ Ron Athey erkundet mit „Joyce“ den Einbruch des Körpers in die Souveränität

„Eintritt nur für Erwachsene ab 18 Jahren!“ dröhnt es durch die Lautsprecheranlage im Kampnagel-Foyer. Die BesucherInnen, die sich auf dem Weg zu Joyce – Ron Atheys neuer Performance – befinden, nehmen es beiläufig zur Kenntnis. Ohnehin scheinen die meisten von ihnen Eingeweihte zu sein, kennen den Künstler aus früheren Aufführungen. „War das nicht der Typ, der einen anderen mit dem Messer tätowiert hat?“, fragt eine Frau. Ihr Begleiter nickt.

Sie wissen, was sie erwarten könnte. Schließlich ist bekannt, dass Athey Tabus bricht, indem er Techniken von Schmerz und Lust zeigt. Als Rituale, die auf den Körper zielen, nehmen sie seine Gefühlsmaschinerie zum Ausgangspunkt. Das Selbst – jenes Subjekt, das die moderne Gesellschaft als autonome Einheit voraussetzt – ist in diesen Praktiken nur registrierendes Endglied. Es bildet sich aus dem Körper der Agonie.

Als der Vorhang sich öffnet und den Bühnenaufbau preisgibt, verdichtet sich die Anordnung des Bühnengeschehens zum ersten thematischen Verweis. Drei riesige Bildschirme geben – gleich dreiteiligen Flügelaltären – Szenen von Körpern wieder, die sich in Ritualen der Auslieferung befinden. Über ihnen öffnen sich vier Räume, deren BewohnerInnen unbeeindruckt voneinander in private Obsessionen verwickelt sind.

Es sind Techniken zur Produktion von Lust, die da zur Schau gestellt werden. Keinesfalls selbstgenügsam tragen sie Spuren des Anderen in sich. Sie wenden sich imaginär an andere, laden sie ein zum Schauen: Wenn du mich sehen würdest, wie ich predige, rede, meinen nackten Körper herausputze ... Du bist schon da, hier im meiner Phantasie, die mir gefällt, weil ich denke, dass du mich siehst. So ist die Imagination ein Schutzschild vor der Einsamkeit.

Doch unbarmherzig schreiten auf dem unteren Triptychon die Bilder voran, erzählen andere Geschichten, die auf die obere Bühne, ins Bewusstsein einbrechen. Außer sich geraten die ProtagonistInnen, weil ein von Angst, Lust und Schmerz ergriffener Körper sich zeigt. Dieser nimmt Besitz von ihrer ausgestellten Souveränität.

Weil dieser Körper bei aller Nähe fremd bleibt und sein Inneres sich selbst beim tiefsten Schnitt nicht zeigt, gleicht er einem sich nähernden Double: Er erhebt Einspruch und sorgt dafür, dass das Selbst sich selbst im Schmerz, in der Lust verliert. Aber da das Ringen um Selbstkontrolle weiterbesteht, bleibt die Dialektik von Körper und Geist bestehen. Sie bleibt: eine Wunde, die sich nicht schließt. Doro Wiese

nur noch Sonnabend, 20 Uhr, Kampnagel