Nestwärme im Überseemuseum

■ Bremer Architekturstudenten leisten Beitrag zur „nestWerk“-Ausstellung

Berühmte Beispiele organoider, also aus der Natur „abgeguckter“ Architektur gibt es ja einige. Nicht nur zufällig erinnert Frank Gehrys Guggenheim-Museumsbau in Bilbao an taubenetzte Blütenblätter. Sydneys Schmuckstück, das Opernhaus von Jörn Utzon, lässt einen an tosende Wellen denken, ähnelt zusätzlich in frappanter Weise dem Gehäuse des Rankenfüßlers Waikalasma boucheti, wie man aus dem „nestWerk“-Flyer erfährt.

Mutter Natur ist eben eine wahre Meisterin, was Form und Funktionalität ihrer Kinder Stuben angeht. Kein Wunder, dass die seit Jahrhunderten den Menschen inspiriert, organische Strukturen in künstliche zu transformieren, die Wunderwerke der Natur für den Menschen nachzubauen.

„nestWerk“, initiiert von Horst Braun und Peter-René Becker, zeigt seit Mitte November die Zusammenhänge von Architektur und Natur, stellt natürliche Vorbilder und menschengemachte Nachbildungen aus, wie ein Modell Frei Ottos Deutschem Expo-Pavillon für Montreal 1967, dessen Dach dem Netz der Baldachinspinne nachempfunden wurde.

Seit gestern ist ein neues Ausstellungsobjekt hinzugekommen. Ein begehbarer, orangefarbener Berg, ein Kupferrohrgestell überzogen mit Transparentpapier, schmückt eine Ecke der Ausstellung. Im Innern des zeltartigen Gebildes sind weitere kleine Modelle naturinspirierter Architektur ausgestellt.

„Zelle“ von Stefanie Goertz und Gaby Hustedt ist der Siegerentwurf des Wettbewerbs „Natur+Architektur. Stäbe-Blätter-Netze“, den die Hochschule für Architektur zusammen mit den Kuratoren der Ausstellung im Überseemuseum ausgeschrieben hatten. Den Biologen Becker beeindruckte bei der „Siegerzelle“ vor allem, dass einerseits die Dynamik lebendiger Strukturen und andererseits Statik, die organische Bauwerke ausmache, zum Ausdruck kämen. Überzeugen konnte die Architekturdozentin Bettina Thormann-Salamon vor allem die konzeptionlle Idee, dass die „Zelle“ als Rückzugs- und Ausstellungsraum in gemeinschaftlicher Arbeit der Studenten entstanden ist, auch Zellen menschlicher und pflanzlicher Organismen sind „Gemeinschaftsunternehmen“, bestehen mit Ausnahme von Einzellern aus einer Vielzahl verschiedenartiger, von einander abhängiger Zellen.

Bereits vor einem Jahr festigte sich die Idee von Lehrenden und Studierenden des Fachbereichs Architektur der Hochschule, sich in Anlehnung an die Ausstellung theoretisch und praktisch organoider Architektur anzunähern. Die Fragestellung, wie Architektur von der Vielfalt der Natur lernen kann, sich biologische Systeme auf Bautechnik und Gestaltung übertragen lassen, stand im Vordergrund.

Emsig wie die Termiten, die sich unermüdlich ihre gigantomanischen Hügel zurechtbauen, sind die beteiligten 50 StudentInnen seit Ende des vorletzten Semesters gewesen. „Zunächst ging es um zeichnerische Vertiefung von natürlichen ,schönen' Formen aus menschlicher und architektonischer Sicht“, erzählt Heiner Fehre vom Fachbereich Gestaltung. Ersten zeichnerischen Studien in der Natur folgten vertiefende Workshops, in denen sich die angehenden ArchitektInnen fühlend mit Materialien wie Reet, Nestern, Holz und Blättern auseinandersetzten um schließlich ihre Zeichnungen in Modelle zu transformieren.

Ausstellungsräume sollten immer einen derartigen „Rückzugsraum“ haben. Der ruhige Innenraum der „Zelle“ wird durch die transparente Haut warm und matt beleuchtet, lädt dabei zum kurzen Entspannen ein. Wohlige Nestwärme vermittelt das. Ähnlich stressfrei muss es damals zugegangen sein in Mutters Bauch.

Roland Rödermund

bis zum 28. 4. im Überseemuseum. Öffnungszeiten: Di — So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr