Zaungäste des Brudermahls

■ Alljährlich im Februar kommen die Schaffer zu Stockfisch und Grütze ins Bremer Rathaus – doch die Kapitäne und die Limousinen werden weniger

Kaum Kapitäne, wenig Limousinen. Das Volk vor der Bremer Handelskammer krauste gestern Mittag betrübt die Stirn. Dabei sind es die treuesten unter den treuen Seelen, eine Handvoll Pensionäre, die sich jedes Jahr unter die Polizisten vor der Handelskammer mischen, um den Schaffern zuzuschauen, wenn diese vor der Handelskammer vorfahren und später gemächlichen Schrittes zum Rathaus spazieren. „So würdevoll“, kommentiert eine weißblonde Frau den Zug der Pinguine mit weißem Lätzchen und wehendem Schoß. Die höherrangigen Schaffer sind am schwarzen Tupfer auf der Brust erkennbar und an der schwarzen Fliege der echte Schaffer – dessen Gast besser nur die weiße trägt. Traditionell. Während die ebenso traditionell ausgeschlossenen Frauen der Gäste Fotos schießen, sichtbar stolz auf den genauso stolzen Gatten.

Es geht also um Tradition beim „ältesten Brudermahl der Welt“, das gestern zum 458sten Mal im Bremer Rathaus stattfand. Notleidenden Kapitänen und Hinterbliebenen der Seefahrt kommen die dort eingesammelten Spenden zu Gute. Und den Unternehmern, die das Brudermahl alljährlich ausrichten, die Kontakte, die über den Empfang in der Handelskammer und das Mahl im Rathaus hinausgehen.

Schon am Donnerstag reichten ehrwürdige Bremer Schaffer privat jede Menge Schnittchen. Und auch am gestrigen Freitag, nach Grünkohl, Stockfisch und Roter Grütze im Rathaus, zog die Karawane abends weiter ins Parkhotel. Ganz ohne die Seemannslieder der alten Kapitäne gehört zu haben, die diese früher noch im Rathaus anstimmten. Eine ausklingende Tradition wie das Seemannsgarn von der Fahrt ums Kap der guten Hoffnung, dem nur die eingefleischten Garderobieren nachtrauern, während die nachwachsende Schaffer-Generation und heutigen Geschäftemacher eigene Geschichten von Yachturlauben beisteuern.

Für einen Hauch von Seefahrt sorgte gestern vorm Rathaus der Brinkumer Shanty-Chor mit Liedern von Johnny, Whisky und dem Veermaster. Kurz gab es ein „Bravo“ von Umstehenden, als Bürgermeister Scherf sich unauffällig ohne Treppchen in die zweite Reihe einfügt. Er hatte sich als erster aus der Handelskammer Hände schüttelnd über den Marktplatz gearbeitet. Das Ehepaar aus Köln steht dabei und wundert sich. Ach, ein Brudermahl erfährt es, das – in den 90ern noch als Bonzengelage angeprangert –, auch heute nur 20 Damen im edlen Voglerzimmer zulässt? „Ein wenig frauenfeindlich wohl“, lacht die rheinische Mittfünfzigerin gut gelaunt. Der Ehemann sagt Weiberfastnacht, und: „Bei uns läuft das anders.“

Das hat auch der Ehrengast, Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) durchblitzen lassen – und schelmisch gebeten, man möge ihm ein herausgerutschtes „verehrte Damen und Herren“ nachsehen – um dann eine sozialdemokratische Rede zu halten, über gesenkte Staatsverschuldung, Steuerreform und Außenpolitik als Beweise dafür, dass in Deutschland echte Reformen möglich seien. Während die ewigen Zuschauer draußen finden: „Gabriel ist ja nur ein Kleiner, gemessen an den großen Gästen der Vergangenheit.“

Eva Rhode