: Ruckelige Schläferstündchen
Das ZDF gibt sich immerhin im Nachtprogramm progressiv: „webcamnights.tv“ zeigt mit chilliger Musik unterlegte Bilder aus Internetkameras – garantiert nichts zum Einschlafen (So., 4.50 Uhr)
Webcams sind mittlerweile unsere ständigen Begleiter. Sie werden installiert an großen Verkehrskreuzungen und in Tiergehegen, in Büros und Wohncontainern, im eigenen Kühlschrank oder auf fremden Toiletten, an ausbrechenden Vulkanen und vor untergehenden Sonnen.
Wieso sollen diese Ruckel-zuckel-Bilder aber nur im Netz und nicht auch im Fernsehen zu sehen sein? Dachten sich zumindest fünf Stundenten des Medieninstituts der Mainzer Fachhochschule. Und gestalten seit Dezember mit Webcam-Impressionen aus aller Welt das Wochenend-Nachtprogramm des ZDF. Jetzt läuft „webcamnights.tv“ auch unregelmäßig unter der Woche.
Rund zwei Stunden Filmmaterial haben die Studenten aus etwa 65 Webcams rausgeholt und dabei der trägen Bildübertragung im Netz auf die Sprünge geholfen: Bis zu 25 Bilder wurden auf eine Sekunde zusammengeschnitten und mit chilligen Klängen unterlegt. Für Nachtschwärmer eine Alternative zu der kultigen „Space-Night“ im Bayerischen Fernsehen oder zu „www.flowmotion.de“, dem recht neuen Nachtprogramm des Hessischen Rundfunks. So manchen um Schlaf ringenden Zuseher wird „webcamnights.tv“ hingegen erst recht um den wohlverdienten bringen: Müde machen tanzende Schiffe und flitzende Großstadtmenschen jedenfalls nicht. Nur manchmal geht es, dem Sendeplatz entsprechend, gemütlich zu: zum Beispiel im Eisbärgehege. Bis sich Papa Bär zu einem beeindruckenden Kopfsprung ins Wasser aufrafft. Grzimek wäre sicher eifersüchtig auf die Cyber-Tierfilmer.
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass das Zweite den Spieß rumdreht und Internetbildern den Zutritt ins Fernsehen erlaubt. Bereits im März lief „Das Webcamprojekt“ – 120 Minuten Webcambilder, ergänzt durch Interviews, die von Internetkameras übertragen wurden. Und heute wie damals können im Netz die verwendeten Webcams aufgesucht werden. Unter „www.webcamnights.tv“ treffen sich dann diejenigen, die einen gesunden Schlaf haben, um sich in Real Time anzuschauen, was sie zu nächtlicher Stunde verpassen. Schade nur, dass es keine Webcam aus der Lüneburger Heide in das Programm gepackt hat: Das hätte so manchen ZDF-Zuschauer das Schäfchenzählen erspart. JUTTA HEESS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen