: Lounge der sehr wichtigen Leute
aus Frankfurt HEIDE PLATEN
Wer würde hierzulande auf der Straße schon einen nordkoreanischen Minister, einen thailändischen Botschafter, einen argentinischen Multimillionär, einen texanischen Wirtschaftsboss erkennen? Die meisten VIPs (very important persons), diese ganz wichtigen Leute, kennt sowieso kein Mensch. Ulrike Lucas (59) muss sie alle auseinander halten und spricht sie korrekt aus: „Wii-Ei-Piis“.
Ulrike Lucas ist eine Dame, vom Scheitel der blonden Grace-Kelly-Frisur bis zu den Spitzen der halb hohen Stöckelschuhe. Ein bisschen Gotha vom alten Schlag, ein bisschen Stil der High Society der 60er-Jahre, elegant konservativ und doch unübersehbar sorgfältig zurechtgemacht. Die Kostümjacke tailliert, wollener Hahnentritt, zurückhaltend schwarzweiß, die Lippen dunkelrot gelackt, Ton in Ton passend zu den langen Fingernägeln, die braunen Augen rundherum braun getuscht, große, goldene Ohrringe, ein bisschen rundlich die Figur, nicht zu sehr, gerade genug, um ein wenig mütterlich und sehr patent zu wirken. Die Frau flößt auf Anhieb Vertrauen ein.
Das muss sie auch. Seit 30 Jahren leitet Ulrike Lucas den VIP-Service des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens. Das ist nicht Fettlebe, sondern Hochsicherheitsbereich. Besucher müssen an Tor 13 zwischen Ankunfts- und Abflughalle des Terminals 1 warten. Sie werden abgeholt. Das wäre ganz unauffällig, wenn die Wagen nicht Leihgaben der Sponsor-Firmen wären. So sind die Gäste nicht zu übersehen im silbergrauen Jaguar oder im ebensolchen Mercedes mit den dezent getönten Scheiben und der dicken Aufschrift: „VIP-Service“. Die Karossen gleiten in den Flughafenbereich mit Rollfeldblick. Der Eingang ist ebenerdig unauffälig. „Hier entlang bitte!“ Über grauen Teppichboden, vorbei an der Edelstahl-Miniküche in die Räume, in denen sich die Reichen und Schönen der Welt auf Zwischenstation zusammenfinden.
Und auseinander gehalten werden müssen. Diplomaten verfeindeter Länder dürfen keinesfalls aufeinander treffen. Eine Aufgabe, die diplomatisches Geschick braucht und im Notfall auch einer glatten Lüge bedarf. Eine der Delegationen wurde wegen „gefährlicher Bauarbeiten“ in ihren Raum eingesperrt und von einem deutschen Schäferhund bewacht, um sie sicher von der gegnerischen Kriegspartei zu trennen.
Manchmal klappt das Appeasement nicht so ganz. Manager konkurrierender Konzerne droschen mit ihren Koffern aufeinander ein. Eine Ministergattin lehnte die in der VIP-Lounge arrangierte Versöhnung mit ihrem untreuen Ehemann ab und haute ihm stattdessen den Rosenstrauß um die Ohren. Madonna absolvierte ihre Morgengymnastik bei dröhnend lauter Musik.
Das alles kostet richtig Geld. 250 Euro zahlt jeder VIP, 55 jede seiner Begleitpersonen. Dafür schwelgen die Kunden nicht gerade im Luxus. Jedes Hotel gleicher Preisklasse wäre wesentlich komfortabler. Kein Kaviar, keine Hummerschwänze im Angebot, „Kleinversorgung“ ist angesagt, nichts als Imbiss, Getränkeservice und ein bisschen Champagner, Zeitungsregal im Flur. Büfetts können bestellt werden, kosten aber extra. Alle Sonderleistungen werden in Rechnung gestellt. Die Möblierung ist schlicht. Die zu abgeschlossenen Sitzgruppen arrangierten dunkelblauen Ledersessel mit den Glastischen davor wirken eher kühl. Groß sind sie ja und weich auch. Das müssen sie auch sein, sagt Lucas, weil auch „Helmut Kohl und der König von Tonga hineinpassen“ sollen. In einem der kleineren Räume macht der Dalai Lama manchmal ein Nickerchen auf dem Sofa.
Die Verwöhnqualität der VIP-Lounge ist eher technischer und logistischer Natur. Privatsphäre soll gewahrt werden: „Die ist uns hoch und heilig.“ Aufenthalte und Umsteigemöglichkeiten müssen organisiert, Zollkontrollen erledigt, Umbuchungen möglich und Flugverbindungen ausfindig gemacht werden: „Die Abwicklung eines Fluges auf kürzestem Wege von A nach B.“ Die Gäste müssen unauffällig an sämtlichen öffentlichen Wegen der Otto-Normal-Passagiere vorbeigeschleust werden.
Seit sechs Jahren muss sich der vormalige Zuschussbetrieb innerhalb der Fraport selber tragen. Lucas: „Ich bin froh, wenn ich eine schwarze Null schreibe.“ Ihre Dienstleistung rechne mit zu vielen Unbekannten und lasse sich deshalb „nicht auf Euro und Cent“ kalkulieren. 50 Prozent der Gäste sind Repräsentanten der internationalen Politik, Präsidenten von Weltorganisationen, Minister, Diplomaten, Könige, religiöse Würdenträger und deren Delegationen. Die andere Hälfte kommt aus der Wirtschaft, Manager, Konzernchefs. Der geringe Rest sind Schauspieler, Bands, Sängerinnen, gerade berühmte Spitzensportler.
Zwei Drittel haben Linienflüge gebucht, 30 Prozent reisen mit Privat- und Firmenflugzeugen. Die VIP-Latte hängt hoch. Nicht jeder kann sich die Dienstleistung kaufen. Lucas: „Es müssen Personen des öffentlichen Interesses sein.“ Boris Becker und Steffi Graf waren da, Rennfahrer Michael Schumacher, Brad Pitt, Gina Lollobrigida, Pavarotti und die Rolling Stones. Und, das sagt Ulrike Lucas nicht, sie sind VIPs, weil sie ein Sicherheitsrisiko sind, das aus dem Wege sein soll, weil es den Alltagsbetrieb andernfalls empfindlich stören könnte.
Sei es, weil ihr Auftritt Fan- und Presserummel verursachen würde: „Gäste mit Brisanz von der Medienseite her.“ Sei es, weil sie des Schutzes bedürfen und es schwere internationale Verwicklungen gäbe, kämen sie auf deutschem Boden zu Schaden: „Wir sind eine Sicherheits-Lounge und total abgeschottet“, „total transparent“ aber gegenüber den Sicherheitsbehörden. Letzter Großauftrag war die Betreuung der afghanischen Stammesführer, die hier auf der Reise zum Bonner Petersberg Station machten.
„Das waren“, sagt Ulrike Lucas vornehm, „Herren, die in letzter Zeit eher nicht sehr viel auf Weltreisen gegangen sind.“ Das sei „etwas kompliziert“ gewesen. Was vor allem bedeutete, dass der VIP-Service sich um nicht vollständige Papiere, fehlende Pässe, um die Einreisemodalitäten kümmern musste.
Ein Leichtes für eine, die auch den wochenlang akribisch vorbereiteten Empfang des japanischen Kaisers mit allem protokollarischen Anstand hinter sich brachte, einschließlich der komplizierten Anweisungen des Hofzeremonienmeisters.
Der Kontakt zur „höchsten Ebene“ des Auswärtigen Amtes und den Botschaften ist eng. Beschwerden und diplomatische Querelen müssen vermieden werden. Aber das strenge Protokoll der Staatsempfänge muss auch auf dem hoch frequentierten Verkehrsflughafen eingehalten werden: „Dann ist der rote Teppich leider gegeben.“ Das wichtige Requisit muss auf dem Boden festgeklebt werden, weil es sich sonst in Wind, Wetter und dem Wirbel der im Minutentakt startenden und landenden Flugzeuge schnell „in einen fliegenden Teppich“ verwandeln würde.
Der Märchenprinz müsste seinen Fuß auf die schnöde Betonpiste setzen. Das aber geht ganz und gar nicht, auch dann nicht, wenn das Flugzeug weitab von dem protokollarischen Textil aufsetzt. Da muss dann schon mal das Empfangskomitee ran: Teppich wieder abreißen und schleunigst an korrekter Stelle wieder ausrollen. Fahnen hissen, Ehrenspalier, Eskorte neu platzieren, Schirme raus, wenn es regnet. Das erinnere sie, lächelt Lucas fein, durchaus an die „Commedia dell’Arte“.
14.000 Kunden frequentieren die VIP-Lounge im Jahr. Sie verweilen durchschnittlich drei Stunden und 14 Minuten. Was aber tun nun diese Prominenten, die sonst den ganzen Tag auf Achse sind, 24 Stunden hochtourig drehen, wenn sie auf einmal Zeit haben, herumsitzen, auf Anschlussflüge warten müssen. Manche seien, sagt Ulrike Lucas vorsichtig, „wenn sie hier reinkommen, schon nicht mehr ganz so edel“. Die meisten aber seien ganz ruhig, unterhalten sich, lesen.
Bei anderen komme schnell Langeweile auf. Sie können den Leerlauf nicht ertragen, fallen in ein „Zeitloch“, kommen auf „Ideen“ und verlangen deren Umsetzung vom VIP-Service: Einkaufsbummel, Stadtrundfahrt, Restaurant- oder Friseurbesuch, Beschaffung eines ausgefallenen Arzneimittels, Nachholen der vergessenen Schutzimpfung für den Schoßhund, einen Klein-Jet leasen: „Und zwar ad hocissimo, alles auf die Schnelle.“
Contenance bewahren und durch. Auch dann, wenn Nordkoreaner die Zollkontrolle zur Einreise in die USA verweigern, der Sohn von Ghadaffi schlecht drauf ist, die Gattin von Idi Amin ihren Rieseneinkauf verpackt haben will. Gäste keine Launen, sondern eben „Persönlichkeitskomponenten“.
„Das geht nicht“ gibt es für Ulrike Lucas nicht. Das gab es auch am 11. September 2001 nicht, als die Maschinen im Anflug auf die USA umkehren mussten und „wie die Schneeflocken alle wieder zurückkamen“. Passagiere waren in Panik, suchten ihre Verwandten. Sie mussten beruhigt und auf Hotels verteilt werden. In der VIP-Lounge saß der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger und war fassungslos. „What should I do?“, habe er in seiner Hilflosigkeit immer wieder gefragt.
Ulrike Lucas ist als Allroundtalent eine Seiteneinsteigerin. Als Tochter eines Offiziers hatte sie Benimm von Haus aus gelernt, ist viel gereist, lebte in den USA. In Bonn arbeitete sie als Journalistin, dann als Fremdsprachensekretärin. Als sie 1970 die Arbeit am Flughafen begann, war pro Tag oft nur ein Gast zu betreuen: „Wenn der Franz-Josef Strauß kam, wurde er vom Vorstand noch persönlich mit Handschlag begrüßt.“ Die Zeiten haben sich geändert. Das VIP-Lounge-Team ist ein Frauenbetrieb geblieben: „15 Damen, der Rest sind Herren.“
Die Frauen werden heutzutage nicht immer so damenhaft behandelt wie in den guten alten Zeiten. Ulrike Lucas formuliert auch das positiv: „Manche Gäste sind nicht mehr den Höflichkeitszwängen unterlegen.“
Was in der Praxis bedeutet, dass die Damen ihr Gepäck selbst schleppen.
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