Hollywood heruntergebrochen

■ Launig: „Bonny & Clyde – Benzin im Blut“ am Neuen Cinema

Das Filmstück beginnt wie ein klassischer Film auf der Leinwand: mit dem Brüllen des MGM-Löwen. Nur dass hier die beiden Hauptdarsteller auf der Bühne ihre Münder aufreißen. Es ist großes Hollywoodkino heruntergebrochen auf den trockenen Bühnenboden. Hollywood unplugged 1: Bonny & Clyde – Benzin im Blut ist der erste Streich einer vierteiligen Serie, die die Schweizerin Barbara Weber und ihr Bühnenbildner Philipp Stengele im gemeinsamen Künstlerkollektivstengele.ost am Züricher Theaterhaus Gessnerallee he-rausgebracht haben. Im Sturm eroberten sie beim Hamburger Gastspiel das Neue Cinema. Aufs Lustvollste demontiert Weber die Gangsterballade, spielt mit textlichen Versatzstücken und zimmert sie anarchisch bunt wieder zusammen. Das alles erfrischend und mit einfachen, aber wirkungsvollen Mitteln.

Das öde Dasein der Kellnerin Bonnie Parker (wunderbar altmodisch: Rebecca Klingenberg) findet ein Ende, als sie den ungestümen Clyde Barrow trifft. Der hat nicht nur einen Zahnstocher lässig im Mundwinkel (selbstironisch: Roeland Wiesnecker), sondern auch eine Wumme mit „hartem Lauf“ unter seiner Jacke. „Du wirst mit mir nie zur Ruhe kommen“, warnt er sie. „Versprichst du mir das?“, ist ihre Antwort. Schon hat sich Bonnnie an den selbst ernannten Cowboy verloren und driftet in einen abenteuerlichen Kampf gegen das Establishment, tödliches Scheitern inbegriffen.

Gnadenlos wird das filmische Original zitiert, mal läuft sogar die Tonspur mit und die Darsteller bewegen nur die Lippen. Nur scheinbar wiederholt sich der Strudel aus Banküberfällen, Schießereien und Fluchtfahrzeugen, hier unzählige Spielzeugautos. Ein Banjo spielender Texas-Ranger wird gekidnappt (unerhört cool: Frank Heierli), statt Blut gleitet zerquetschtes Gemüse an einer Plastikscheibe hinab, und als Special Effect werden Kasperleköpfe in Tomatendosen versenkt. Das alles geht flott und launig über die Bühne – bis am Ende die beiden Liebenden zersiebt von Pistolenkugeln niedergestreckt daliegen.

Barbara Weber hat in Hamburg Schauspieltheaterregie studiert und wurde durch ihren Beitrag zum Festival „Die Wüste lebt“ und ihre DiplominszenierungTrommeln in der Nacht auf Kampnagel bekannt. Die 25-Jährige arbeitet mit einer kraftvollen, eigenen Bühnensprache, die von der konsequenten Demontage der Illusion lebt und den Text in den Mittelpunkt rückt, oft gespickt mit stichelnder Bösartigkeit. Im heimischen Toggenburg hat sie dabei übrigens lange überhaupt keine Filme zu Gesicht bekommen: Als sie sieben Jahre alt war, wurde das einzige Kino abgerissen. Das holt sie jetzt nach.

Annette Stiekele