Frauen als Agentinnen des Wandels

Afghanistan zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit: Die ersten Projekte entstehen bereits, doch Frauenministerin Simar Samar wird massiv in ihrer Arbeit behindert. 75 Prozent der Frauen zeigen Symptome schwerer Depression

BERLIN taz ■ Simar Samar dürfte weltweit die einzige Vizechefin einer Regierung sein, die nicht mal ein eigenes Diensttelefon besitzt, geschweige denn eine funktionierende Behörde. Der Frauenministerin der afghanischen Übergangsregierung fehlen Räume, Mitarbeiterinnen, Kommunikationsmittel, Geld – alles.

Aber vor allem mangelt es Samar an politischer Unterstützung. Das war Ende letzter Woche in der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung am Rande der Tagung „Frieden, Freiheit, Frauen an die Macht – Utopie oder Chance in Afghanistan?“ immer wieder zu hören. Sie sei keine richtige Muslimin, werde ihr vorgeworfen. Während andere Kabinettsmitglieder finanziell massiv von fundamentalistischen Kreisen in anderen Staaten unterstützt würden, steht die Ärztin recht alleine da. Gleichzeitig hat sie Aufgaben zu bewältigen, die schier unlösbar erscheinen.

Rund 60 Prozent der Bevölkerung Afghanistans ist weiblich. Doch nur drei Prozent haben jemals eine Schule von innen gesehen, 25 Prozent sind Witwen ohne jedes Einkommen, rund 75 Prozent zeigen Symptome massiver Depression. Eine von fünf Frauen aus ehemaligen Taliban-Gebieten und eine von zehn Frauen aus Gebieten der Nordallianz hat einen Selbstmordversuch hinter sich. Jährlich sterben 15.000 Mütter bei der Geburt eines Kindes, und jedes vierte Kind erlebt seinen fünften Geburtstag nicht.

Ministerin Samar, nach Berlin eingeladen, ließ sich dort wegen Überbeschäftigung entschuldigen. Auch die Kabuler Frauenaktivistin Soraya Parlika konnte nicht kommen, da sie als eins von zwei weiblichen Mitgliedern einer offiziellen Vorbereitungskommission damit beschäftigt ist, wenigstens einige Frauen in die 500-köpfige Loya Jirga zu hieven. Diese Nationalversammlung soll ab Juni eine neue Übergangsregierung und eine verfassunggebene Versammlung wählen. „In Afghanistan muss alles erneuert werden“, so Soraya Parlika in ihrem Grußwort an die Tagung, „nicht nur die Regierung und die Verfassung, sondern auch die geistige Verfassung.“

Parlika, so etwas wie die Grande Dame des weiblichen Widerstands unter den Taliban, unterrichtete damals in Geheimschulen Mädchen. Jetzt wünscht sich die Vorsitzende der neu gegründeten Organisation „Women throughout Afghanistan“, dass die internationale Gemeinschaft und besonders Deutschland den Wiederaufbau mit Argusaugen beobachtet. Die Voraussetzung für dessen Erfolg sei „die Einbeziehung der Frauen, der Agentinnen des Wandels“.

Einige Projekte sind schon im Entstehen. In Kabul wird derzeit in Kooperation der Frauenhilfsorganisationen Medica Mondiale und Shuhada ein „Purple Nest“ errichtet, ein Schutzhaus für rund 20 Witwen, allein stehende Frauen und ihre Kinder. Die Kölner Medica-Frauen hatten mit Shuhada-Gründerin Samar diese erste Hilfsinitiative für traumatisierte Frauen vereinbart, als die Ärztin im vergangenen Oktober durch Deutschland tourte (Infos unter www.medicamondiale.de).

Traumabearbeitung – das sei ein extrem wichtiges Thema, assistierte auf der Tagung Citha Maaß, Afghanistanexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik. Eine Bewältigung erlebter Traumata sei, wenn überhaupt, dann nur in der Muttersprache möglich, aber es gebe kaum afghanische Psychiater. Gerade mal 16 hätten vor dem Krieg in Afghanistan praktiziert, meldete sich ein Mann zu Wort, er sei einer davon und wolle auch gern aktiv werden, aber wie sollten diese wenigen Menschen eine ganze Nation heilen? Der Redebeitrag zeigte, wie groß die Bereitschaft der ExilafghanInnen ist, Projekte aufzubauen.

„Wir kriegen eine Flut von Anfragen“, berichtete Annette Kaiser, für den Wiederaufbau Afghanistans zuständige Beamtin im Bundesentwicklungsministerium. Viele Hochqualifizierte würden gerne für einige Monate Projekte betreuen und schreckten dann doch davor zurück, weil sie keinen gefestigten Aufenthaltsstatus in Deutschland hätten. Für diese Menschen suche man jetzt in Verhandlung mit dem Bundesinnenministerium eine Lösung. UTE SCHEUB