Große Erwartung, gemischte Gefühle

In Sarajevo erhofft man „die Wahrheit“ über den Krieg,in Priština gibt es auch Grund, das Tribunal zu fürchten

SPLIT taz ■ Lange haben die Menschen in Priština und Sarajevo auf diesen Tag gewartet. Der morgige Prozessbeginn gegen Milošević vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wird im Kosovo und in Bosnien und Herzegowina mit großem Interesse verfolgt. Die wichtigsten Zeitungen und die elektronischen Medien haben ihre Korrespondenten nach Den Haag geschickt. „Endlich ist es so weit“, sagt Amira Maldošević, ehemalige Postangestellte aus der bosnischen Stadt Tuzla. „So viele Menschen sind gestorben, weil er uns mit Krieg überzogen hat.“

Für die bosnisch-muslimische Bevölkerung und für viele bosnische Kroaten geht es vor allem darum, „die Wahrheit aufzudecken“. Noch immer würden zu viele Ideologien die Tatbestände verschleiern, meint Mehmed Alicehajić, der den Krieg in Sarajevo überlebt hat. Die serbische Seite wolle nach wie vor die Schuld am Krieg und an den Massakern auf alle Seiten verteilen. „Als ob man Milošević und Izetbegović auf die gleiche Stufe stellen könnte.“

So ist die öffentliche Meinung in Sarajevo dankbar dafür, dass die Chefanklägerin in Den Haag, Carla Del Ponte, den Komplex Bosnien und Herzegowina gegen Widerstände auch aus der internationalen Gemeinschaft in die Verhandlung gegen Milošević einbezogen hat. Dass ursprünglich nur über die serbischen Verbrechen im Kosovo verhandelt werden sollte, hatte Proteste in Sarajevo ausgelöst. Umso mehr ist man befriedigt darüber, dass der von serbischer Seite geleugnete „Genozid“ in Bosnien und Herzegowina in die Anklageschrift aufgenommen wurde. Lediglich die Tatsache, dass es der Nato mit mehr als 20.000 Soldaten bisher nicht gelungen ist, den ehemaligen Serbenführer in Bosnien, Radovan Karadžić, und seinen Armeechef Ratko Mladić dingfest zu machen, bleibt Gegenstand der Diskussion.

In der serbischen Republik im zweigeteilten Bosnien herrscht eine andere Stimmung vor. Zwar hat die internationale Seite starken Druck auf die serbische Führung in Banja Luka ausgeübt, in Sachen Karadžič selbst aktiv zu werden – bisher ohne Erfolg. Karadžić ist vor allem bei den Serben Ostbosniens nach wie vor ein Volksheld. Milošević dagegen gilt den meisten Serben Bosniens als Verräter, hat er doch alle Kriege verloren und gegen den Willen der bosnisch-serbischen Führung 1995 das Abkommen von Dayton unterschrieben.

Auch im Kosovo gibt es unterschiedliche Haltungen zu Den Haag. Alle Kosovo-Albaner sehen zwar mit Befriedigung den Prozessbeginn gegen Milošević. Sie erwarten, dass aufgezeigt wird, wie die Führung in Belgrad – nicht nur Milošević also – den Konflikt im Kosovo von langer Hand vorbereitete und organisierte. Offenbar sollen auch Mitglieder der ehemaligen kommunistischen Führung der Albaner vor Gericht gehört werden, die noch in den Achtzigerjahren, vor Aufhebung des Autonomiestatus des Kosovo 1989, mit Milošević verhandelten. Bisher wird Stillschweigen über die Zeugen gewahrt. Einige der Zeugen stecken sogar in einem Schutzprogramm, da Anschläge nicht auszuschließen sind. Ehemalige UÇK-Mitglieder jedoch sehen in Den Haag ähnlich wie Milošević selbst eine „politische Institution“ und stellen damit die Unabhängigkeit des Gerichts in Frage. Denn Den Haag ermittelt auch gegen die ehemalige Befreiungsarmee und löste damit heftige Proteste aus. Mit der vor kurzem erfolgten Verhaftung von drei ehemaligen UÇK-Militärpolizisten wolle die internationale Gemeinschaft den notwendigen Befreiungskampf gegen das serbische Regime im Kosovo diskreditieren, so die Protestierenden. Sie fürchten, dass hinter dem Verfahren gegen die UÇK die Absicht der internationalen Gemeinschaft steht, indirekt die angestrebte Unabhängigkeit Kosovos von Serbien zu blockieren.

ERICH RATHFELDER