Unsichere Kantonisten im Zeugenstand

Die Ankläger behaupten, „etwa 20 enge Vertraute“ Milosevics seien bereit, ihr Insiderwissen preiszugeben

BERLIN taz■ Serbiens Politiker hüllen sich in Schweigen. Niemand wagt es, schon zu Prozessbeginn offen zu sagen, ob sie oder er für oder gegen den Angeklagten aussagen werden. „Erst mal abwarten, was dort gespielt wird“, sagt Serbiens amtierender Präsident Milan Milutinovic.

Dabei weiß Milutinovic viel zu erzählen. Als Ex-Außenminister unter Milosevic leitete er auf Schloß Rambouillet bei Paris im Februar 1999 die serbische Delegation bei den Gesprächen um eine Beilegung des Kosovo-Konfliktes. Milutinovic war es auch, der während des Bosnien-Kieges mehrmals in die Serbenhochburg Pale pilgerte, um Serbenführer Karadzic zu einem Friedensabkommen zu bewegen.

Mit ihm reiste damals auch Vojislav Kostunica, damals ein relativ unbedeutender Oppositionspolitiker, heute Präsident von Jugoslawien. Während Kostunica vom UNO-Tribunal nicht angeklagt ist, wird Milutinovic gesucht. Eine andere mutmaßliche Kriegsverbrecherin, Ex-Karadzic-Stellvertreterin Biljana Plavsic, saß schon als Kriegsverbrecherin bis letzten August in Den Haag ein. Sie wurde aber aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes „vorübergehend entlassen“, um angeblich jederzeit wieder nach den Haag zurückzukehren.

Wird nun Plavsic gegen Milosevic aussagen oder sogar Milutinovic, der sich davon strafmildernde Vorteile verspricht? Wird man Kostunica in den Zeugenstand rufen? Oder halten alle drei insgeheim zum gestürzten Diktator und werden zu dessen Entlastung auftreten?

Die Ankläger in Den Haag behaupten, „etwa 20 enge Vertraute“ von Milosevic seien derzeit bereit, „über Planung und Ausführung von Kriegsverbrechen“ ihr Insiderwissen preiszugeben. Milosevics Rechtsberater behaupten genau das Gegenteil. Nach ihrer Version gibt es in Ex-Jugoslawien mehrere „angesehene Politiker“, die nachweisen könnten, dass Milosevic nicht der Hauptverantwortliche sei. Dies würden auch ehemalige Diplomaten westlicher Länder bezeugen. Namen wie General Sir Michael Rose, Generalmajor Lewis MacKenzie oder auch Sir David Owen werden dabei ins Spiel gebracht, als hätten diese ehemaligen Balkan-Vermittler ein Interesse daran, zugunsten eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers auszusagen.

Rose und MacKenzie befehligten während des Krieges um Bosnien zeitweilig die machtlosen UN-Schutztruppen. Zum Ärger der Kroaten und Bosnier beschuldigten sie stets alle drei Konfliktparteien, mit den gleichen Methoden die jeweils andere Volksgruppe zu vertreiben. Auch beharrten die beiden UNO-Kommandeure darauf, die blutigen Ereignisse seien ein Bürgerkrieg und kein Aggressionskrieg der Serben. In den kroatischen und bosnischen Zeitungen wurden beide daraufhin als „Freunde von Milosevic“ beschimpft.

Im Prozess gegen Milosevic ist nun von Bedeutung: Gab es einen Aggressionskrieg gegen Kroaten, Bosnier und Kosovo-Albaner oder nicht? Denn nur dann kann Milosevic wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und geplanten Völkermords verurteilt werden. Das UNO-Tribunal ist zuversichtlich, diesen Beweis erbringen zu können. Milosevic und mit ihm viele Serben halten an der Theorie fest, der Westen habe Jugoslawien zerstückelt und die Serben zur „Notwehr“ gezwungen. Das vertraten bislang auch Milutinovic, Plavsic und Kostunica. ROLAND HOFWILER