Wasserfarbe gegen die Taliban

In seinem Stadtviertel will Asefi ein Kulturzentrum eröffnen. „Gott wird mir schon helfen“, glaubt er

aus Kabul SVEN HANSEN

„Dieser Mann hat die Taliban ganz einfach ausgetrickst. Wir brauchen mehr solch genialer Menschen.“ Afghanistans Interimsregierungschef Hamid Karsai ist voll des Lobes über den Maler Yousef Asefi. Bei der Wiedereröffnung der Nationalgalerie am vergangenen Donnerstag in Kabul zeigte der 40-jährige Künstler dem Politiker mit einem Schwamm, wie einfach die Wasserfarben wieder zu entfernen sind, mit denen er Dutzende Ölgemälde verfremdet hatte. Damit rettete Asefi die Bilder vor der Zerstörung durch die radikalislamistischen Taliban. Abbildungen von Menschen und Tieren verwandelte er zum Beispiel in solche von Bäumen, was bei den Taliban keinen Anstoß erregte. Sie hatten in ihrem religiösen Übereifer jegliche Darstellung von Menschen verboten, was sie mit der Zerstörung vieler Kunstwerke brutal durchsetzten. Bilder von Asefi gehörten zu den allerersten Opfern. Viele andere Gemälde konnte er durch entschlossenes Handeln retten.

Asefi ist durch seinen Trick inzwischen zu Afghanistans bekanntestem Maler geworden. Der eher schüchterne Künstler bewohnt im 9. Distrikt im Osten der afghanischen Hauptstadt eine Plattenbauwohnung aus der sowjetischen Besatzungszeit. Sein Wohnblock wurde nie fertig gestellt, weil die Mudschaheddin vorher die Macht übernahmen. Inzwischen ist der Kran vor dem Haus verrostet, dafür klafft im zweiten Stock des Nachbaraufgangs ein zimmergroßes Loch. Hier schlug bei den Machtkämpfen der Gotteskrieger Mitte der Neunzigerjahre eine Rakete ein. Das unverputzte Treppenhaus ist wegen der fehlenden Fensterscheiben vereist. Es ist die pure Tristesse. Doch bereits vor der Tür zu Asefis Wohnung unterm Dach hellt die hellblaue Farbe, die der Künstler verstrichen hat, das Gemüt auf.

Asefi lässt den Gast auf Kissen in seinem Wohnzimmer Platz nehmen, das mit Teppichen ausgelegt ist. Zuvor hat er sich vergewissert, dass seine Frau in einem anderen Zimmer verschwunden ist und der Gast sie nicht zu Gesicht bekommt. Auf dem Garderobenhaken im Flur hängt ihre blaue Burka. Im Wohnzimmer hebt ein provisorischer Kanonenofen, dessen Rohr direkt durch die Fensterscheibe ins Freie führt, die Raumtemperatur über den Gefrierpunkt. Asefi ist in eine dicke Lederjacke gehüllt. An allen Wänden hängen und stehen seine Ölgemälde: Reiter beim Buzkashi-Spiel, einer Art afghanischem Polo mit einem Ziegenkadaver; eine Kamelkarawane vor einer Bergkulisse mit Sonnenuntergang; die weltberühmten Buddhastatuen von Bamiyan vor und nach ihrer Zerstörung durch die Taliban; Gemälde afghanischer Bergpanoramen.

„Ich bin in den Siebzigerjahren auf die deutsche Amani-Oberschule hier in Kabul gegangen“, sagt Asefi in gebrochenem Deutsch, „doch ich habe die Sprache vergessen.“ Noch vor dem Medizinstudium hatte er mit der Malerei angefangen. Seine ersten Bilder stellte der spätere Internist zunächst in Gesundheitseinrichtungen aus. 1989 und 1990 folgten Ausstellungen in Duschanbe und Prag. Da war er schon mit einheimischen Kunstpreisen ausgezeichnet. Als die Taliban 1996 in Kabul die Macht übernahmen, verlor Asefi seine Stelle in einem Krankenhaus, konnte später aber zu einer internationalen Hilfsorganisation wechseln.

Die Taliban zerstörten zunächst acht seiner Bilder, die im Präsidentenpalast hingen, und sechs weitere in einem anderen Regierungsgebäude. „Ich habe mich lautstark empört. Zum Glück bin ich dabei an jemanden geraten, der etwas Verständnis hatte“, sagt Asefi. „Er empfahl mir, mich abzuregen – statt dass er mich einsperren oder gleich umbringen ließ. Mir ging es tagelang sehr schlecht, und ich bin dann erst mal nach Pakistan gefahren. Nachdem ich mich dort erholt hatte, kehrte ich entschlossen zurück.“

Die Taliban hatten ihr Verbot menschlicher und tierischer Darstellungen zu der Zeit noch nicht offiziell ausgesprochen, doch Asefi hatte sehr frühzeitig von ihren Plänen erfahren. So bewarb er sich als ehrenamtlicher Restaurator in der Nationalgalerie, die unter den Koranschülern ohnehin zu einem Schattendasein verdammt war. Dort übermalte oder verfremdete er 80 Bilder mit abwaschbarer Farbe, im Außenministerium weitere 42. „Mit anderen Künstlern zusammen konnte ich auch verhindern, dass einhundert afghanische Gemälde von den Taliban nach Karatschi verschoben wurden.“ Im Verborgenen malte er weiter eigene Bilder.

Während des Gesprächs serviert Asefis etwa achtjähriger Sohn Tee mit den landesüblichen gezuckerten Mandeln, Rosinen und Bonbons. Sie werden in einer Schale serviert, die in einer russischen Spieluhr integriert ist. Sie lässt Süßigkeiten im klimpernden Takt sich im Kreis drehen. „Das war jahrelang die einzige Musik, die ich hören konnte“, sagt Asefi. Inzwischen gehört der fast tägliche Stromausfall der Vergangenheit an. Er steckt zwei Drähte in eine Steckdose zwischen den Bildern an der Wand, worauf ein chinesisches Heizgerät etwas Wärme spendet.

Durch seinen Trick ist der schüchterne Künstler zum bekanntesten Maler des Landes geworden

„Wir haben jetzt eine schwarze Phase unserer Geschichte hinter uns“, sagt Asefi. „Fast alle afghanischen Künstler sind ins Ausland geflohen.“ Asefi wurde für seine mutige Rettung der Gemälde inzwischen mit dem afghanischen Verdienstorden ausgezeichnet. „Wenn es friedlich bleibt, können wir Künstler jetzt frei arbeiten“, hofft er. Auf die Frage nach seinen Zukunftsplänen holt er eine große Rolle hervor und breitet bereits zerfranste Pläne eines Architekten für ein Kulturzentrum aus. „Diese Pläne habe ich schon 1995 zeichnen lassen, vielleicht kann ich sie jetzt bald umsetzen.“

Asefi arbeitet zwar ehrenamtlich beim Wiederaufbau der Nationalgalerie mit und erhielt auch zahlreiche Beraterfunktionen in der offiziellen Kulturpolitik. Doch als Künstler möchte er unabhängig bleiben und lieber ein eigenes Kulturzentrum samt Galerie in seinem Stadtviertel aufmachen. Dort möchte er dann Malerei unterrichten – nach eigenen Vorstellungen. „Die neue Regierung hat mir jetzt ohnehin nur moralische und keine finanzielle Unterstützung versprochen“, sagt er.

Bei einem offiziellen Job zum Beispiel in der Nationalgalerie würde er auch nur maximal 20 Dollar im Monat verdienen, während er inzwischen seine Bilder für 500 Dollar verkaufen kann. „Das Geld will ich in das Kulturzentrum stecken. Manchmal denke ich zwar auch, dass es unmöglich ist, ein solches Zentrum aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Aber Gott wird mir schon irgendwie helfen.“