Argentiniens Peso endlich zwangsbefreit

Nach über zehn Jahren wurde gestern die Dollarbindung gelöst. Experten fürchten Kursstürze und Preiserhöhungen

BUENOS AIRES taz ■ Schon in den frühen Morgenstunden bildeten sich in der Calle Florida in der Fußgängerzone von Buenos Aires lange Schlangen vor den Wechselstuben. Wer gestern Morgen in Argentiniens Hauptstadt Pesos in Dollars tauschen wollte, musste mehrere Stunden bei praller Sonnenhitze ausharren, ehe er an die Reihe kam. Während der Wartezeit kletterte der Preis des Dollars am Schalter langsam nach oben. Illegale Geldwechsler boten den Wartenden einen schlechteren Kurs, aber ein schnelleres Geschäft an.

Die Banken öffneten gestern zwar, verkauften aber keine Dollars, da sie um ihre Reserven fürchten. Immerhin ein gutes Geschäft für die Schlosser der Stadt: Um ihre Fensterscheiben gegen den Zorn ihrer Kunden zu schützen, haben alle Banken im Geschäftsviertel ihre Filialen mit Metallplatten einpacken lassen. Am Freitag nutzten mehrere wütende Kunden die Panzerung der Banken dazu, um mit ihren Schuhen dagegenzuklopfen, was im Inneren einen nervtötenden Lärm verursachte.

Am ersten Tag des frei floatenden Peso in Argentinien nach über zehn Jahren Peso-Dollar-Parität, schwankte der Peso zwei Stunden nach Öffnung der Wechselstuben zwischen 2 bis 2,40 Peso je Dollar. Am Wochenende hatte Zentralbankchef Mario Blejer angekündigt, er werde nicht dabei zusehen, wenn der Peso ins Unendliche abstürzen sollte. Mit den ihm noch verbliebenen 14 Milliarden Dollar an Devisenreserven will Blejer den Peso durch Dollarverkäufe stützen. Wann und ab welchem Wert die Zentralbank dies zu tun gedenkt sei, so Blejer „ein Staatsgeheimnis“.

„Die Zentralbank wird in den kommenden Tagen nicht massiv Dollar verkaufen“, sagt der Ökonom Orlando Ferreres. Er rechnet wie Blejer damit, dass der Peso in den ersten Tagen nach Freigabe seines Kurses abstürzen kann, sich danach aber wieder erholen wird. „Diejenigen, die heute Dollar kaufen, handeln irrational“, so Ferreres. Er geht mittelfristig davon aus, dass der Dollar bei 1,80 bis 2,40 Peso landen wird, bis zum Jahresende aber auf 2,50 Peso steigen wird.

Dies hängt aber stark davon ab, wie sich die Zentralbank verhält und davon, ob es der Regierung gelingt, das mit 3,5 Milliarden Dollar für dieses Jahr angelegte Haushaltsdefizit im Zaum zu halten. Denn Argentinien kann gegenwärtig nirgendwo mehr Geld aufnehmen, da das Land zahlungsunfähig ist. Außerdem lässt weitere Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf sich warten. Ab heute verhandelt eine Delegation aus Buenos Aires in Washington über einen Kredit von 25 Milliarden Dollar. Und wenn am Ende des Jahres das Haushaltsloch größer sein sollte als angenommen, wird die Zentralbank Geld drucken müssen. Dann ist, so Ferreres, „ein Absturz des Peso nicht zu vermeiden“.

Während am Montagmorgen im Stadtzentrum die Mittelschicht ihre Ersparnisse in sichere Dollars anlegte, blockierten Arbeitslose fast sämtliche Zufahrtsstraßen nach Buenos Aires. Sie fordern Sozialprogramme und eine Arbeitslosenversicherung. Über 60 Prozent der Argentinier haben kein Bankkonto und keinen festen Job. Seit dem Stillstand der Wirtschaft vor einigen Monaten haben viele überhaupt keine Einnahmequelle mehr. Auch die Einkommen sind in den vergangenen vier Rezessionsjahren um 20 Prozent gesunken. Jetzt aber steigen die Preise. Allein im Januar betrug die Inflationsrate 2,3 Prozent, und die Regierung hofft am Jahresende auf optimistische 14 Prozent Inflation. Die Hersteller von Medikamenten oder Lebensmitteln spekulieren darauf, dass sie nach der Abwertung im Export mehr Gewinne erzielen können als auf dem einheimischen Markt und heben die Preise an.

INGO MALCHER

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