Verräter oder Volkshelden

Gedenken an die Rote Kapelle, eine antifaschistische Widerstandsgruppe  ■ Von Doro Wiese

Am 11. Februar 1952 suchte ein Sonderagent des amerikanischen Geheimdienstes CIC den ehemaligen Wehrdisziplinaranwalt Manfred Roeder auf. Als zweiter Staatsanwalt hatte dieser in der Nazi-Zeit gegen Mitglieder der so genannten Roten Kapelle ermittelt und Verfahren gegen sie eingeleitet. Mehr als 600 Mitglieder dieser Organisation wurden zwischen 1942 und 1943 in ganz Europa verhaftet, 58 Mitglieder zum Tode und viele zu langen Haftstrafen verurteilt.

Ihre Aktivitäten reichten von der Verteilung von Flugblättern bis zu Spionage für die sowjetische Regierung. Obwohl die Rote Kapelle nie eine homogene Gruppe war und nur ihr antifaschistisches Anliegen sie einte, schätzte die Gestapo sie als Spionage-Ring ein. Von ihr erhielt die Rote Kapelle ihren Namen, denn einige Mitglieder musizierten Unerhörtes – Funksprüche an die sowjetische Regierung über den von den Nazis geplanten Überfall auf die Sowjetunion.

Dem eingangs erwähnten Geheimdienst-Sonderagenten ging es bei seinem Besuch keineswegs da-rum, Kriegsverbrechen und Foltermethoden bei der Inhaftierung, beim Verhör und bei der Strafvollstreckung gegen die antifaschistische Widerstandsgruppe aufzude-cken. Vielmehr sollte die Akte Nr. 2 über die Rote Kapelle entschlüsselt werden, um Informationen über die geheimdienstlichen Praktiken der Sowjets während des Kriegs zu gewinnen. Die Kooperation von Mitgliedern der Roten Kapelle mit dem Gegner im Osten war für den CIC schwerwiegender als ihr antifaschistischer Kampf. Da ehemalige Nationalsozialisten aufgrund ihrer anti-kommunistischen Haltung wichtige Informanten waren, scheute man im Fall Manfred Roeder nicht vor einer Kooperation zurück. Das Ziel einer Entnazifizierung war einer Weltordnung gewichen, die sich im Kalten Krieg manifestierte.

Der Kalte Krieg rettete aber nicht nur Kopf und Kragen von Nazi-Verbrechern, sondern spaltete auch das deutsche Gedenken an Verfolgung und Widerstand. Während in Ostdeutschland die Rote Kapelle als wichtige Widerstandsgruppe angesehen wurde, galten ihre Mitglieder in Westdeutschland als Verräter. Einige warfen ihnen sogar vor, sie seien durch ihre Informationsweitergabe schuld an der Niederlage von Stalingrad. Doch die Sowjets haben Warnungen einiger Mitglieder der Roten Kapelle ohnehin als Desinformationskampagne bewertet. Folgenlos blieb so der Einsatz von Leben zur Verhinderung von Krieg und Leid. Insbesondere die Tatsache, dass einige Mitglieder der Roten Kapelle kommunistisch geprägt oder organisiert waren, dient bis in unsere Tage zur Minderung ihres Ansehens. So wendete sich Hartmut Schulze-Boysen – Bruder des kriegswichtige Informationen an die USA und die Sowjetunion vermittelnden Harro Schulze-Boysen – am 5.6.1993 in der Frankfurter Rundschau an die Öffentlichkeit. Anlass sind Vorwürfe an seinen Bruder. So erwähnt er einen Publizisten, der moniert, dass die Widerstandsgruppe durch eine Ausstellung vom „Hautgout sowjetischer Spionagetätigkeit“ befreit und „für den „reinen“ Widerstand“ reklamiert werden solle. Dass aber zur gleichen Zeit das Attentat vom 20. Juli 1944 im bundesdeutschen Gedenken nie als „Charakterlosigkeit“ gewertet wird, stößt Hartmut Schulze-Boysen als unvermittelbarer Widerspruch auf. Er fragt sich, was der Luxus zu bedeuten hat, „den wenigen aktiven und mutigen Widerstand gegen Hitler“ in gut und böse zu unterteilen. Ein neuer Blick in die Geschichte hilft, kleiner und großer Widerstandshandlungen zu gedenken. Die GWA bietet jetzt die Gelegenheit.

heute, 19.30 Uhr, GWA: Die Rote Kapelle, Vortrag von Hans Coppi

Do, 21.2., 19.30 Uhr, GWA: Erinnerungen an Mitglieder der Roten Kapelle mit dem Überlebenden Rainer Küchenmeister

So, 24.2., 16 Uhr, B-Movie: Filme zur Roten Kapelle mit Stefan Roloff