Verschlüsseltes Bilderreich

Wie in der DDR Kinofilme aus dem Westen illustriert und so dezent wie möglich beworben wurden: Unter dem Titel „Kampf um die Köpfe, Treffer ins Herz“ ist in der Urania eine Ausstellung mit Filmplakaten aus Ost und West zu sehen

Die DDR-Pendants sind abstrakter und zeichenhafter, ihre Typografien vielseitiger

In den Kinos der DDR liefen nicht nur Defa-Filme oder ununterbrochen Produktionen aus sozialistischen Bruderländern wie UdSSR oder Polen. Das Filmland DDR besaß auch eine westlich orientierte Seite, was in retrospektiven Erinnerungen mitunter vergessen wird: Spielfilme aus dem kapitalistischen Ausland zählten zu den eigentlichen Publikumslieblingen von Rostock bis Erfurt, auch wenn sie erst Jahre nach ihrer Erstaufführung in die Kinos gelangten.

Nach der Devise „Brot und Spiele“ hatte die SED vor allem in den Achtzigern den Spielplan dem westlichen Film weit geöffnet, sofern dieser den „real existierenden“ Sozialismus in Ruhe ließ. Doch ließ man es sich von Anfang an nicht nehmen, wenigstens die werbenden Filmplakate, hergestellt vom „VEB Progress-Film-Verleih“, nach eigenen ökonomischen, künstlerischen und psychologischen Kriterien neu zu gestalten. Von ihren westlichen Pendants unterschieden sie sich manchmal so sehr, dass es unglaublich erscheint, dass sie das gleiche bewarben: nämlich Filme wie „Excalibur – Das Schwert des Königs“ oder „Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“.

Eine kleine Ausstellung des Progress-Filmverleihs und des Bundesfilmarchivs in dem Foyer der Urania mit dem etwas ungelenken Titel „Kampf um die Köpfe, Treffer ins Herz“ zeigt Filmplakate aus Ost und West zu rund zwanzig Filmen, die von den Sechzigern bis zu den Achtzigern hier wie dort ins Kino kamen. Zum Beispiel die beiden Plakate zu „Spiel mir das Lied vom Tod“. Auf dem Westplakat sind im oberen Drittel die Köpfe der Hauptdarsteller nebeneinander angeordnet: das Staraufgebot, wie man es auch heute von vielen Filmplakaten kennt. Darunter sieht man eine typische Westernszene in einem fotorealistischen Comicstil, wie ein Cowboy, von der Kugel getroffen, in einer weit ausladenden Dreivierteldrehung zu Boden sinkt. Die grelle Botschaft wirkt eindeutig: Der Film ist actionreich.

Auf dem DDR-Plakat geht es dagegen ganz symbolisch zu und nahezu statisch. Die überlegene Kraft des sich rächenden unbekannten Mundharmonikaspieler steht pars pro toto für den Film: Man sieht eine mit wenigen klaren Farben gemalte Hand mit Hut, die wie ein Kopf aussieht. Sie hält eine Mundharmonika, die einen Mund mit riesigen Zähnen darstellt. Beide Plakate zeigen symptomatisch die Unterschiede zwischen den in der Ausstellung gezeigten Plakatbeispielen aus den politisch getrennten Welten. Denn während westliche Plakate zumeist marktschreierisch auf fotorealistisch gemalte (vor allem in den Fünfziger- und Sechzigerjahren sehr beliebt) oder fotografierte Filmszenen zurückgreifen, aber auch auf den aufreizenden Effekt von Starporträts, sind die ostdeutschen Pendants abstrakter und zeichenhafter, ihre Typografien vielseitiger, und fast immer sind sie gezeichnet oder gemalt.

Ständen nicht irgendwo die obligatorischen Angaben zum Film oder wunderbar rührig anmutende Zusätze wie „Ein Abenteuerfilm aus Großbritannien“ oder „Eine Kriminalkomödie aus Frankreich“, könnte man mitunter denken, dass für alles Mögliche geworben wurde, nur nicht fürs Kino. So scheint es, als hätte die staatliche Kontrolle in der DDR eine eigenwillige Domäne geschaffen, die sich nicht nur fernab der kapitalistischer Marktgesetze entwickelte, ohne wirtschaftliche Konkurrenz, ohne Zwangsjacke von „sex and crime“, sondern auch merkwürdig weit entfernt war von sozialistisch realistischer Kunst: ein illustratives, verschlüsseltes Bilderreich, das naiv, kopflastig und weniger sinnlich anmutet – als wollte man den Film eigentlich verbergen, das Zugeständnis an den Westen an den Plakaten vertuschen. Vielleicht entschieden aber auch ökonomische Gründe, denn ein Vierfarbendruck war auf jeden Fall das preiswerteste Druckverfahren.

Leider lässt sich in dem eher lieblosen Ausstellungsarrangement in der Urania kein System ausmachen, nach welchen Kriterien diese oder jene Plakate ausgewählt wurden, gab es doch gerade von den westlichen durchaus auch mehrere Versionen. Kein begleitender Text erklärt die (auch historischen gewandelten) gestalterischen Ausdrucksformen in Ost und West, erläutert den Stellenwert von Plakaten in den beiden deutschen Ländern oder stellt Grafikgestalter wie Werner Klemke oder Manfred Bofinger vor, die auch durch ihre zahlreichen Buchillustrationen in der DDR bekannt und beliebt waren. Ob die Ausstellungmacher das Gefühl hatten, alles sei schon gesagt oder noch hinlänglich bekannt?

Als ob man der Wirkung dieser Plakate nicht ganz traute, wurde die Ausstellung um noch zwei Teile ergänzt, die jedoch überflüssig und lustlos sind, zumal auch diese nicht weiter erklärt werden: An einer Wand hängen einige Filmplakate von erfolgreichen Defa-Produktionen. In einer Ecke spielt ein Videorecorder Szenen aus bekannten Defa-Filmen ab. Und weiter hinten werden zusätzlich in gläsernen Schaukästen Szenenfotos von Stars aus der erfolgreichen Ausstellung „Gesichter der Defa“ aus dem vergangenen Jahr gezeigt. Die Drappierung der Fotos auf kunstvoll in Falten gelegten roten Stoff erinnert nahezu authentisch an untergegangene Zeiten.

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CHRISTIANE BREITHAUPT

Begleitend zu der Ausstelllung zeigt die Urania noch bekannte Defa-Filme und veranstaltet Podiumsdiskussionen