Kalte Dusche für zu heißen Reaktor

Der jüngste Störfall im Kernkraftwerk Temelin betraf erstmals auch den nuklearen Teil. Tschechisches Strahlenschutzamt setzt bis auf weiteres die Erlaubnis zur Brennstofflieferung für Reaktorblock 2 aus

PRAG taz ■ Das südböhmische Kernkraftwerk Temelin kommt einfach nicht zur Ruhe. Der jüngste Störfall vom vergangenen Donnerstag zeigt immer mehr eine neue Qualität: Nach über 30 kalten Störfällen, die der Brüter seit seiner Inbetriebnahme im Oktober 2000 fabrizierte, war nämlich erstmals ein Defekt im nuklearen Kreislauf Grund der Selbstabschaltung.

Ebenso neu ist die kritische Reaktion des tschechischen Strahlenschutzamtes (SUJB). Ungewohnt freizügig räumte es ein, dass der jüngste Störfall ein „ernsthaftes Problem“ sei. Dies, so das SUJB, betreffe aber keinesfalls den Reaktor selbst, sondern allein den sekundären, nichtnuklearen Teil des Kraftwerks.

„Im zweiten Teil des Kraftwerks funktioniert einfach zu vieles nicht“, ärgert sich SUJB-Vorsitzende Dana Drabova. Es war eine Kettenreaktion unvorhergesehener Vorfälle, die zur automatischen Abschaltung der nuklearen Kettenreaktion führte: Erst schaltete sich der Generator ab – er wandelt die Energie aus der 1.000 Megawatt Turbine in Strom um. Während das Kontrollsystem Dampf abließ, sandte es ein falsches Signal an den nuklearen Teil, der sich prompt ab und die Notkühlung einschaltete. Die den Reaktor kühlende Dusche führte zum Thermoschock. Und beim SUJB zu Verärgerung. „Wasser im ersten Kreislauf sollte eine absolute Ausnahme sein“, ließ die Atomaufsicht die Kraftwerksleitung wissen.

Was der eigentliche Störfallauslöser war, wissen allerdings weder Prager noch Temeliner Spezialisten genau. Im AKW soll jetzt eine Expertenkommission den Grund erkunden. Das SUJB hat sein Inspektorenteam, das Block 2 auf Inbetriebnahme testet, bis auf weiteres in den störanfälligen Block 1 entsandt. Klar ist inzwischen, dass die Dampfdruckventile im Sekundärbereich nicht funktionstüchtig sind: Eines der Ventile, die den nach der Drosselung der Reaktorleistung überschüssigen Dampf ablassen, schloss nicht wie geplant. Der ausgelassene Dampf sei aber nicht radioaktiv gewesen, so das SUJB.

Bei der Anti-Temelin-Front stellt man indessen schon den Sekt kalt. Versagten doch gerade jene Ventile, die von der Europäischen Union als dringendes Problem benannt wurden. Bis zum 30. Juni hätte die tschechische Seite Brüssel dokumentieren sollen, dass die Ventile im Falle einer Störung richtig reagieren. „Das hat sich mit ihrem Versagen ja nun selbst erledigt“, frohlockt der oberösterreichische Anti-Temelin-Beauftragte Radko Pavlovec.

Spekulationen, dass in Temelin mehr schief gelaufen ist als zugegeben wird, erweckt nicht nur die Ratlosigkeit der tschechischen Atomlobby, sondern auch die neue Offenheit des Strahlenschutzamtes.

Bis jetzt hat das SUJB nämlich sämtliche Vorfälle in Temelin als normalen Teil des Probebetriebs bezeichnet. Diesmal aber zog die Atomaufsicht Konsequenzen: Bis auf weiteres verzögert sie die Erlaubnis zur Brennstofflieferung für Reaktorblock zwei.

ULRIKE BRAUN