Ende der tariffreien Zone

■ Call-Center City: Arbeitnehmerkammer Bremen und die Gewerkschaft ver.di wollen soziale Mindeststandards für Telefon-Jobs durchsetzen

remen spielt in der Champions League – zumindest in der Ansiedlung von Call-Centern. Die dort vorherrschenden Arbeitsbedingungen sind allerdings eher dritte Kreisklasse. Die Bezahlung lässt zu wünschen übrig. Stress und Hektik, regelmäßige Schicht-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit herschen vor. Die Fluktuation unter den Beschäftigten ist entsprechend hoch. Call-Center gelten zur Freude der Betreiber immer noch als „tarif- und betriebsratsfreie Zonen“.

Vom 1. März an wird nun ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Forschungssprojekt die Call-Center nicht nur in Bremen genauer unter die Lupe nehmen. Titel: „Soziale Gestaltung der Arbeit in Call-Centern“ (soCa). Die Bremer Arbeitnehmerkammer stellt Büroräume zur Verfügung, Kooperationspartnerin ist außerdem der Bereich Innovations- und Technologiepolitik der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Gestern stellte die Arbeitnehmerkammer das Projekt „soCa“ der Öffentlichkeit vor.

„Wir wollen Standards für eine arbeitnehmerorientierte Gestaltung der Arbeit in Call-Centern entwickeln, so genannte soziale Benchmarks“, sagte Michael Sommer, stellvertretender ver.di-Bundesvorsitzender. Der mögliche Nachfolger von DGB-Chef Dieter Schulte war eigens aus Berlin zur Präsentation nach Bremen angereist. „Benchmarks sind einheitliche Vergleichsmaßstäbe für Lohn, Qualifizierungsmaßnahmen, Gesundheitsschutz und Arbeitszeitsouveränität.“

Hans Joachim Schulz von ver.di und Petra Höfers-Richter für die Arbeitnehmerkammer leiten das Projekt vor Ort. Beide möchten die Ergebnisse der Untersuchung am Ende in die Praxis überführen. Wie das aussehen wird, ist noch nicht ganz klar. „Wir denken zum Beispiel an ein Kompetenzzentrum“, sagte Juristin Höfers-Richter. „Es könnte aber auch sein, dass am Ende jemand eine Consulting- Firma für soziale Call-Center gründet.“

„SoCa“ soll insgesamt 3,5 Jahre laufen. Das Gesamtvolumen beträgt 1,381 Millionen Euro (2,7 Millionen Mark). Im Laufe der Untersuchung wird „soCa“ einen eigenen Teledienstleister beauftragen, bei über 2.000 Call-Center-Agents im ganzen Bundesgebiet anzurufen und um Mitarbeit zu werben. Anschließend werden die vier wissenschaftlichen Mitarbeiter mit den Beschäftigten qualitative Interviews führen. Ver.di-Vize Sommer wünscht nicht nur eine „Karthographie der Branche“, sondern auch Ergebnisse: „Ein Ende der hire-and-fire-Mentalität.“

Ausgerechnet der für soziale Belange zuständige Staatsrat Arnold Knigge war gar nicht begeistert von der Idee – argwohnte er doch Ungemach für den Standort Bremen. „Mach mir meine Call-Center-City nicht kaputt“, sei Knigges erste Reaktion gewesen, so Arbeitnehmerkammergeschäftsführer Hans Endl: „Ich konnte die Skeptiker aber davon überzeugen, dass die Branche auch was von einer Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse hat.“ Schließlich klagen die Betreiber über Imageprobleme und einen Mangel an qualifizierten Fachkräften. „Es wird also nicht immer gleich ein großer Laster kommen und das Equipment nach Mecklenburg-Vorpommern karren, wenn wir eine Lohnerhöhung durchsetzen.“

Dass der Bund „soCa“ finanziert, liegt auch an einem Proporz-Deal. Nachdem das BMBF der unternehmerfreundlichen TU München ein Forschungsprojekt bewilligt hatte, setzte sich der ehemalige Postgewerkschaftsvorsitzende Kurt von Haaren bei Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn dafür ein, dass Call-Center auch aus Arbeitnehmersicht untersucht würden.

Schwarzes Schaf der Call-Center im Land Bremen war lange Zeit die Firma Telegate. Als Telegate vor drei Jahren startete, erhielten die Arbeitnehmer für eine 30-Stunden-Stelle kaum 1.900 Mark brutto im Monat bei 24 Urlaubstagen im Jahr. Telegate hat die Entlohnung inzwischen erhöht.

Bundesweit arbeiten nach Schätzungen zwischen 150.000 und 240.000 Agents in etwa 2.000 Call-Centern. In Bremen sind etwa 50 Teledienstleiter tätig. Sie haben 1.000 bis 1.500 MitarbeiterInnen. Genaue Daten liegen nicht vor. Noch im November 2001 hatte der Bremer Senat in seiner „Technologieoffensive“ unter anderem beschlossen, weitere „innovative Dienstleister“ anzuwerben. SoCa könnte also Licht ins Dunkel der angeblichen „Job-Maschine“ Call-Center bringen.

Thomas Gebel