strübel & passig
: Das gute Gefühl

Therapeuten sind eine großartige Erfindung: Einmal in der Woche geht man zu jemand halbwegs Nettem, dem man vor die Schuhe kotzt, was der Leib hergibt, und der nickt aufmunternd dazu, weil er anständig dafür bezahlt wird. Das Internet ist ebenfalls eine ganz hervorragende Einrichtung: Wann immer man will, kann man sich mit Gleichgesinnten treffen, austauschen, sogar verheiraten, wenn man meint, das müsse sein.

Eine Tragödie ist hingegen, wenn Menschen beide Institutionen zu vermischen beginnen. Nein, ich rede hier nicht von Selbsthilfe-Chats und -Mailinglisten. Die sind toll, und hätte es sie vor 30 Jahren gegeben, hätte so mancher 68er sich vermutlich die Qualen einer langen und mühselig befreienden Psychoanalyse ersparen können.

Darum geht es mir nicht. Ich spreche von psychoanalytischen Couch Potatoes. Von Menschen, die das ganze Netz für eine Art Seelsorgepuff halten: Für 1,7 Pfennig in der Minute, so glauben sie, haben sie die Lizenz zum Lamentieren. Mit der Flatrate, so meinen sie, haben sie die Schwafelkarte eingebaut.

Wenn aus der Internet- eine Therapiesitzung wird – dann signe off, wer kann. „Ich bin schon wieder viel zu lange online – wenn die Rechnung kommt, gibt’s Ärger mit meinem Mann“, schreibt mir eine Dame kätzischen Namens und deutet weiter an, dass der Gatte zur Gewalttätigkeit neige. Unsere Nicks kennen sich nur vom Sehen. Der intime Einblick ist mir peinlich, auch weiß ich, dass die Dame allabendlich den Chat – es handelt sich um einen, der sich eigentlich mit philosophischen Themen befasst – heimsucht, um von Kind, Kegel und Komplexen zu berichten. Und zwar ohne Punkt und Komma und stets im Kreis herum. Und ganz gleich, ob jemand auf ihren Sermon reagiert oder nicht, sie schreibt und schreibt und schreibt, ohne sich jemals von der Stelle zu bewegen.

Männer sind da übrigens keinen Deut besser: Ich erinnere mich an Queries, in denen ich außer „hallo“ nicht viel sagen musste, denn das besorgte der Jammerlappen am anderen Ende ganz allein. „Meine Frau versteht mich nicht!“ und „Wenn ich doch nur jemanden zum Reden hätte“ sind nur kleine Stationen in jenen einseitigen Gesprächen, die, so sie nicht unterbrochen werden, irgendwann verpuffen und mit einem versöhnlichen „Wenn ich euch nicht hätte hier, ich wüsste wirklich nicht“ enden.

Die beste Selbsthilfe gegen solchermaßen zugetextete Feierabende ist, so scheint’s mir, die klassische /ignore- Funktion. Denn Ehrlichkeit führt kaum je zum Ziel: „Such dir einen guten Therapeuten“ verstehen eben die wenigsten dieser Fälle als gut gemeinten Ratschlag, sondern vielmehr als Ablehnung ihres inneren Kindes oder sonstiger lebenswichtiger Organe.

Ich selbst kann diesen Gestalten inzwischen dennoch auch etwas Gutes abgewinnen: Nach Feierabend lege ich oft meine ganzen Macken und Ängste fein säuberlich sortiert auf den Tisch neben den Monitor, lausche den verwirrten Stimmen aus dem Netz, reibe, zufrieden Vergleiche ziehend, meinen Wanst und denke: „Hach, was bin ich heute wieder unneurotisch.“ Ein gutes Gefühl. Deshalb ergeht, neben allen Schmähungen, mein Dank an alle, die mir in den letzten acht Jahren im Chat das Ohr blutig gekaut haben; Wenn ich euch nicht hätte hier, ich wüsste wirklich nicht.

IRA STRÜBEL

ira@textmaschine.de