Drohen hilft

Im Nahen Osten könnten die Europäer den Friedensprozess wieder in Gang bringen, wenn sie endlich dazu bereit wären, beide Seiten politisch unter Druck zu setzen

Die seit 34 Jahren andauernde Besetzung weiter Teile Palästinas ist das zentrale Friedenshindernis

Endlich gibt es etwas Bewegung im Nahost-Friedensprozess. Sowohl der britische Außenminister Jack Straw als auch Joschka Fischer sind in die Krisenregion gereist, um mit dem israelischen Premierminister Ariel Scharon und dem palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat zu sprechen. Sie werden die ersten ranghohen Regierungsvertreter sein, die Arafat seit Beginn seines von Israel verhängten Hausarrests in Ramallah empfangen wird. Wenn Scharon es zulässt. Das alleine wäre schon ein Erfolg. Aber Fischer hat außerdem auch noch einige Vorschläge im Gepäck. Denn die EU-Außenminister haben sich darauf geeinigt, nach Jahren faktischer Abwesenheit wieder eine aktive Rolle in den nahöstlichen Friedensbemühungen zu spielen.

Klar ist, dass die EU-Initiative der Verärgerung über die allzu einseitige proisraelische Haltung der US-Regierung entspringt. Nach Ansicht der EU-Außenminister sollen in Zukunft die Achtung der Menschenrechte und das soziale wie ökonomische Wohlergehen beider Völker der Maßstab ihrer Nahostpolitik sein. Das freilich behagt dem israelischen Premier überhaupt nicht. Denn Scharon weiß, dass er den Palästinensern mehr Schaden zufügt als deren Präsident den Israelis. Zudem schafft Scharon vollendete Tatsachen: Da er als einer der letzten Vertreter der zionistischen Gründergeneration genau weiß, wie man einen Staat aus dem Nichts aufbaut, weiß er auch, wie man einen Staat verhindert. Die von ihm befohlene Bombardierung des Flughafens von Gaza, die Zerstörung der palästinensischen Radiosender, die ökonomische Strangulierung von Westjordanland und Gaza-Streifen – all das sind keine symbolischen Akte. Es sind gezielte Angriffe auf einen Staat im Aufbau.

Haben die EU-Außenminister sich also dafür entschieden, der proisraelischen US-Haltung eine konsequent propalästinensische EU-Haltung entgegenzusetzen? Ganz und gar nicht. Sie haben es klug vermieden, Vorverurteilungen zu treffen oder Schuldige zu benennen. Die EU gönnt sich schlicht den Luxus, den Konflikt unvoreingenommen zu betrachten. Sie nimmt sich zu Recht die Freiheit, ihre Prioritäten selbst zu formulieren und dem amerikanischen Ansatz etwas Eigenes entgegenzusetzen. Auch wenn die EU-Initiative keinen Erfolg hat, wird sie dazu führen, dass die palästinensische Position künftig deutlicher vernommen wird. Im besten Fall allerdings könnte die Initiative zu einem Durchbruch führen.

Während die USA im Moment gemeinsam mit den Israelis noch darauf beharren, dass zunächst ein Waffenstillstand zustande kommen muss, bevor die beiden Parteien wieder direkt miteinander reden sollen, schließen die Europäer Verhandlungen „unter Feuer“ nicht ausdrücklich aus. Das hat zwei Vorteile. Erstens: So erstrebenswert ein Waffenstillstand auch ist, als Vorbedingung für Gespräche ist er hinderlich, da er militanten Extremisten ein faktisches Vetorecht gibt. Und zweitens: Die ewige Debatte über den Waffenstillstand verstellt den Blick auf das zentrale Friedenshindernis: die seit nunmehr 34 Jahren andauernde Besatzung weiter Teile Palästinas durch Israel. Solange die Landfrage ungeklärt ist, wird es noch viele Intifadas geben.

Natürlich kann auch Europa die Konfliktparteien nicht zum Frieden zwingen. Aber es könnte ihnen den Weg ebnen. Europa muss dabei, wenn es in Nahost als Vermittler ernst genommen werden will, auch lernen, beiden Seiten zu drohen: den Israelis mit dem Boykott von Waren, die in illegalen Siedlungen hergestellt werden, und den Palästinensern mit dem Ende der Finanzhilfen, wenn Terroristen nicht verhaftet werden.

Besonders der Druck auf Arafat müsste erheblich erhöht werden, da nicht zuletzt er zur Eskalation in Nahost beiträgt. Denn: Wer am Montag Terroristen festnimmt, nur um sie am Dienstag wieder freizulassen, der kann nicht für sich in Anspruch nehmen, als verlässlicher Partner in der Terrorismusbekämpfung zu gelten.

Scharon dürfte mittlerweile gemerkt haben, dass er die Sicherheitslage für die Israelis mit seinen Einmärschen ins Westjordanland nicht verbessern konnte, und er spürt das wachsende Misstrauen ihm gegenüber in der israelischen Bevölkerung. Offensichtlich müssen andere Wege in der Bekämpfung militanter Extremisten gefunden werden, wenn er sein Versprechen halten will. Hier könnten die Europäer für Scharon zu einem interessanten Partner werden, weil sie in den palästinensischen Gebieten über viel mehr Einfluss verfügen als die USA. Auch für den israelischen Premier führt der Weg zum Ziel über Europa.

Zugegeben, die skizzierten Schritte erscheinen im Moment etwas optimistisch. Die Geschichte des Nahostkonflikts hält darüber hinaus auch nicht allzu viele anwendbare Beispiele dafür bereit, wie mit internationaler Unterstützung Frieden geschaffen werden konnte. Die beiden großen historischen Abkommen zwischen Israelis und Arabern, das Oslo-Abkommen von 1993 und der ägyptisch-israelische Friedensvertrag von Camp David 1977, sind keine Modelle für die verfahrene Situation von heute. In Camp David lag den Teilnehmern glasklar vor Augen, was sie wollten. Es war eher ein Tauschgeschäft als eine Verhandlung. Das ist heute anders, denn die Palästinenser wissen sehr genau, was sie wollen, während die Israelis sich noch nicht entschieden haben, ob sie ein Besatzungsregime oder eine Demokratie sein wollen. Die internationale Vermittlung beschränkte sich damals weitgehend auf das Versüßen der Lösung mit Geld. In Oslo hatten Geheimverhandlungen eine wichtige Rolle gespielt, private Treffen in neutraler Umgebung, ohne großen Erwartungsdruck. Das würde heute nicht funktionieren, weil die palästinensische Autonomiebehörde nicht bereit wäre, ohne die Insignien der Staatlichkeit mit Israelis zu verhandeln.

So erstrebenswert ein Waffenstillstand auch ist, als Vorbedingung für Gespräche ist er hinderlich

Es gibt dennoch Lehren, die man aus Oslo und Camp David ziehen kann. Die erste lautet: Die internationalen Vermittler müssen bereit sein, viel Geld zu bezahlen, und für dieses Geld Gegenleistungen verlangen. Die zweite: Es rächt sich, wenn Lösungen nicht bis zu Ende verhandelt werden. Das Oslo-Abkommen kam nur zustande, weil seinerzeit alle existenziellen Fragen einfach ausgeklammert wurden – Jerusalem, die Flüchtlinge, die Siedlungen. Die Folge war, dass bis heute niemals wieder umfassend über diese Probleme verhandelt wurde. Das Beste wäre also eine internationale Friedenskonferenz nach dem Vorbild von Madrid 1991. Damals führte sie nicht zu Ergebnissen – heute könnte das dank des neuen europäischen Engagements anders sein.

Wird die EU nun ihren Worten Taten Folgen lassen und die Rolle eines echten Vermittlers übernehmen? Es ist zu hoffen. Die Erfolgsaussichten des europäischen Vorstoßes stehen jedenfalls besser als die des amerikanischen. Noch besteht freilich die Gefahr, dass er in endlosen Diskussionen bis zur Unkenntlichkeit zerredet wird.

YASSIN MUSHARBASH