Die Ratten marschieren

Nach dem Sozialismus kommt eben die Steppe: Iwan Pawlows Groteske „Sadbata kato plach“ (Forum) erzählt von einem Dorf, das exquisiten Feriensiedlungen weichen muss

Manche Länder machen sich nur auf der Berlinale bemerkbar. Dann sieht man einen Film aus Bulgarien und stellt fest, dass die Küste entlang des Schwarzen Meeres an die schönen, steinigen Buchten auf Korsika erinnert; dass die Ästhetik der Plattenbauten im Eigenheimformat fortlebt; dass der bulgarische Mann ein weinerlicher Macho ist; und dass man überhaupt nicht weiß, was nach dem Sozialismus eigentlich im Land passiert. Schon deshalb ist Iwan Pawlows groteskes Dorfdrama „Sadbata kato plach“ wichtig – damit die Nachbarn im Osten nicht völlig in Vergessenheit geraten.

Es ist ein Rattendasein, so der deutsche Titel, das dort die Menschen antreibt. Die Männer sprengen illegal Steinbrüche, um aus dem Gesteinsmüll Häuser zu bauen. Die Häuser wiederum sehen futuristisch karg wie antike griechische Bühnen aus, auf denen Jean-Marie Straub und Danièle Huillet ihre gestrengen Literaturfilmfestspiele abhalten könnten. Pawlow dagegen choreografiert seine Geschichte über den gesellschaftlichen Verfall in absurden Bildern: Im Gänsemarsch wackeln die Halunken durch das Geschehen, saufen miteinander und haben sich sonst wenig zu sagen. Stattdessen fallen sie wortlos über ihre duldsamen Frauen her, die aus Verzweiflung über die stumpfe Triebhaftigkeit der Männer Selbstmord begehen. Danach trottet das halbe Dorf wie ein Haufen zerzauster Entlein hinter dem Sarg her. Oder wie Ratten, die auf etwas Essbares hoffen.

Pawlow lässt den Punkt, an dem die postsozialistische Depression in die Asozialität des Überlebenskampfes umkippen könnte, bewusst in der Schwebe. Ohnehin hat sich die Gemeinschaft längst auf die Versteppung der zwischenmenschlichen Beziehungen eingerichtet: Selbst die Alten im Pflegeheim verspotten ihre Söhne, wenn sie zu Besuch kommen. Das mitgebrachte Obst wird ohne Dank weggeworfen, wenn aber doch einer einmal in eine Banane beißt, erstickt er gleich daran.

Natürlich muss die Sache tragisch enden. Als die Dörfler erfahren, dass sie für eine exquisite Feriensiedlung von ausländischen Investoren vertrieben werden sollen, sprengen sie den neu angelegten Hafen in die Luft. Danach bringt eine Ratte das Haus zum Explodieren, in dem sich alle ein letztes Mal zusammen betrinken. Nur die Ratte bleibt übrig – und eine schwangere Frau. Damit lässt sich kein Staat machen, auch nicht in Bulgarien.

HARALD FRICKE

„Sadbata kato plach“. Regie: Iwan Pawlow. Bulgarien 2001, 75 Min.