Lionel Richie fährt U 5

Jeder Film- oder Videodreh ist für die Berliner Verkehrsbetriebe eine gute Werbung, bringt Geld und sichert mindestens drei U-Bahnern den Job

von MARKUS MÜNCH

Trittbretter gibt es an der Berliner U-Bahn nicht. Gut für die Fahrgäste, schlecht für Max Grundeis. Der soll sich nämlich an den Zug klammern und auf dem Trittbrett heimlich mitfahren – so steht es in Erich Kästners „Emil und die Detektive“. Und so sollte es möglichst auch bei der Verfilmung des Klassikers vor zwei Jahren ablaufen. Ein Fall für die Filmmanager der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Thomas Puhan und Michael Dewitz.

„Wir mussten uns da was einfallen lassen, was man auch nicht nachahmen kann“, sagt Puhan, „wäre der aufs Dach gesprungen, hätten das die Kids am nächsten Tag alle nachgemacht.“ Was der Bösewicht Grundeis, gespielt von Jürgen Vogel, dann im Film macht, geht wirklich nicht: Er springt auf die hinterste Kupplung der U-Bahn und hält sich am Dach fest – wo es gar keine Haltemöglichkeit gibt.

Dass ein Drehbuch nicht eins zu eins umgesetzt werden kann, kommt oft vor. Thomas Puhan sieht dann zu, dass es doch noch irgendwie klappt, und zwar so, dass auch die BVG in gutem Licht dasteht. Puhan ist seit zweieinhalb Jahren sozusagen der Filmchef der Berliner U-Bahn. Wer dort drehen will, muss sich an ihn wenden, und das kommt immer öfter vor, seit Berlin Hauptstadt ist. Von einigen der knapp 50 Drehs pro Jahr hat er Filmfotos, Autogrammkarten und Zeitungsausschnitte an seiner Bürowand hängen. Lionel Richie hat nach einem Videodreh in der U 5 „MR PUHAHN“ ein Autogramm gegeben, genauso wie Hans Meiser, der die altgedienten U-Bahner Dewitz und Puhan mit seinem Wissen über Eisenbahnen beindruckt hat.

Eigentlich ist Film bei der BVG aber nur Randgeschäft, darf den laufenden Betrieb nicht stören und muss oft auf die Nacht ausweichen. So wie Wolfgang Beckers neuer Streifen „Goodbye, Lenin!“, für den in der U-Bahn-Station Mohrenstraße gedreht wurde. Nachdem dort am 27. Oktober der letzte Zug abgefahren war, verwandelte sie sich wieder in die alte DDR-Station „Otto-Grotewohl-Straße“ – ohne moderne Abfahrtsanzeige und mit täuschend echten Vopos.

Einfacher ist es, wenn ein Fernsehteam Bilder vom laufenden Betrieb braucht – eine der häufigsten Anfragen rund um das Jubiläumsdatum. Dann ist Michael Dewitz gefragt. Er ist für die Außeneinsätze zuständig. Dewitz liefert die Schauplätze zu den Ideen: Werden Pendlermassen gebraucht, geht es zu einem wichtigen Umsteigebahnhof wie zum Beispiel Alexanderplatz. Dewitz weiß aber auch, wo man originelle Bilder bekommt – eine Kreuzung wie am Gleisdreieck oder eine imposante Kulisse wie auf der Oberbaumbrücke. „So was ist am spannendsten. Beim Film ist das oft langweiliger, weil da alles schon vorher geklärt ist“, sagt Dewitz. Der 58-Jährige ist bei der BVG offiziell Fahrdienstleiter und ist jahrelang selbst U-Bahn gefahren. In den Job als Filmexperte ist er hineingerutscht – er will ihn noch bis zur Frühpensionierung mit 58 machen.

Auch Thomas Puhan ist lange „an der Wand entlanggefahren“, wie er sagt. Als er in die Verwaltung wechselte, sollte er die Filmangelegenheiten eigentlich nebenher machen – mittlerweile unvorstellbar, denn neben Dewitz und Pulhan ist noch eine kaufmännische Angestellte ausschließlich mit allem rund um Film und Fernsehen beschäftigt. Das Team sorgt für schwarze Zahlen, denn ihre Dienste werden von den Produzenten gut entlohnt. Puhan will aber nicht verraten, wie viel es etwa kostet, den Bahnhof Rathaus Spandau inklusive Zug für eine Nacht zu mieten – so geschehen für einen Premiere-World-Werbespot.

Die beliebteste Film-Linie ist die hundertjährige U 1. Dewitz und Puhahn erklären sich das mit dem New Yorker Flair der Hochbahntrasse. Da an der Strecke durch Kreuzberg oft gedreht wird, scheinen sich Anwohner und Fahrgäste über nichts mehr zu wundern. Für die Trittbrettfahrer-Szene aus „Emil und die Detektive“ hing am Zugende eine täuschend echt aussehende Puppe, was während der achtstündigen Dreharbeiten niemandem auffiel. Nur zwei Kontrolleure, die die interne Benachrichtigung offenbar übersehen hatten, meldeten – ganz erstaunt – einen lebensmüden Schwarzfahrer. Puhahn konnte lachend entwarnen: „Dit is’ in Ordnung, Kollegen!“