Der Traum von der ewigen Jugend

Weltweit sind Wissenschaftler auf der Suche nach den Ursachen des Altwerdens. Einige Forscher meinen, der Alterungsprozess wird vor allem durch die Gene gesteuert. Doch auch Umweltfaktoren haben einen entscheidenden Einfluss auf das Lebensalter

von CLAUDIA BORCHARD-TUCH

„Wie traurig ist das!“, meinte Dorian Gray in einem Roman von Oscar Wilde, sein jugendliches Spiegelbild betrachtend. „Ich werde alt und grässlich. Wenn ich nur immer jung bleiben könnte und dafür das Bild immer älter würde!“

Der Traum von der ewigen Jugend ist so alt wie die Menschheit selbst. Um so erstaunlicher ist es daher, dass sich die Wissenschaft erst seit wenigen Jahren ernsthaft mit dem Altern beschäftigt. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Theorien. Geschieht Altern durch die aufeinanderfolgende Aktivierung oder Hemmung bestimmter Gene? Oder ist Altern eine Folge von giftigen Stoffwechselprodukten, die während eines langen Lebens zu Zellschäden führen? Oder die Folge mechanischer Belastungen? Ordnet etwa ein übergeordnetes Zentrum die Alterung eines Organismus als Taktgeber?

Für die Gentherorie spricht, dass im Alter wichtige Gene in ihrer Aktivität nachlassen. Wissenschaftler um Peter Schultz vom Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla untersuchten die Genaktivitäten in den Hautzellen verschieden alter Menschen und stellten fest: Von mehr als sechstausend Genen verringerten 61 mit zunehmendem Alter ihre Aktivität – ein Viertel dieser Gene war an der Kontrolle und Regulation der Zellteilung beteiligt.

Nimmt im Alter die Aktivität dieser Zellteilungsgene ab, so führt dies möglicherweise zu einer fehlerhaften Verteilung des Erbmaterials auf die Tochterzellen. Dies wiederum könnte eine Fehlregulation weiterer Gene zur Folge haben und zu typischen Alterskrankheiten wie etwa Arteriosklerose, Alzheimer oder Arthritis führen. Eine lange Aktivität der Zellteilungsgene würde somit auch ein langes Leben bedeuten.

Genetischer Trick lässt Fliegen länger leben

Andererseits gibt es aber offenbar auch Gene, deren Aktivitäten lebensverkürzend wirken. So entdeckte eine Gruppe um Stephen Helfand von der University of Connecticut in Farmington das Indy-Gen, das über den Stoffwechsel die für jeden Organismus „natürliche Lebenserwartung“ regelt. Eine Drosselung der Aktivität von Indy, so legen die bisherigen Versuchsergebnisse nahe, führt zu einem längeren Leben – jedenfalls bei Fruchtfliegen: Sie lebten doppelt so lange, wenn die Aktivität von Indy mit Hilfe eines genetischen Tricks gebremst worden war.

Indy ist bereits das zweite Gen, das bei verringerter Aktivität zu einem längeren Leben führt. Das erste wurde von Forschern am California Institute of Technology in Pasadena entdeckt und von seinen Entdeckern Methusalem genannt; es verlängert ein Fliegenleben um etwa eine Woche.

Indy senkt offenbar die Stoffwechselrate. Eine ähnliche Reaktion zeigt der Körper auch bei einer Schlankheitskur. Dies ist wahrscheinlich der Grund, warum eine strikte Einschränkung der Kalorienzahl bei Mäusen die maximale Lebensspanne von 39 auf 56 Monate erhöhte.

Dies wiederum zeigt: Auch äußere Einwirkungen – wie etwa eine lebenslange Schlankheitskur – beeinflussen die Geschwindigkeit des Alterns.

Dass die Länge eines Wurmlebens zumindest teilweise umweltbedingt ist, gelang den beiden Forschern Javier Apfel und Cynthia Kenyon von der University of California nachzuweisen.

Ihre Laborwürmer waren durch genetische Veränderungen in der Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt: Die Sinnesorgane an Kopf und Schwanz fehlten, waren fehlgebildet oder leiteten die aufgenommenen Sinnesreize nicht weiter.

Ein reizarmes Wurmleben dauerte bedeutend länger als ein normales, teilweise sogar mehr als doppelt so lange, wobei sich die genetisch veränderten Würmer völlig normal verhielten. Daraus schließen Apfel und Kenyon, dass der normale Alterungsprozess eines Wurms durch Umweltreize mitverursacht wird, die die Sinnesorgane aufnehmen. Welche Reize das sind, ist allerdings bisher noch nicht bekannt.

Altern ist offenbar multifaktoriell bedingt, und es gibt eine Vielzahl von Erklärungsversuchen. Bilden sich während eines langen Lebens im Stoffwechsel freie Radikale, die Membranen, Enzyme und DNA zerstören? Unter normalen Bedingungen bilden sich im Körper O2- und H2O2, aus denen hochreaktive Radikale entstehen. Fortwährend ereignen sich Schäden innerhalb der Zelle durch kleinere Mengen freier Radikale. Die Schäden akkumulieren im Laufe der Zeit. Besonders in Zellen, die sich nicht teilen, lässt sich altersabhängig eine Zunahme von DNA-Veränderungen nachweisen.

Oder gibt es einen Schrittmacher, der seinen Takt mit zunehmendem Alter verlangsamt und schließlich ganz einstellt? So steuert beispielsweise ein Teil des Zwischenhirns, der Hypothalamus, über die Ausschüttung von Hormonen die biologische Uhr des Körpers. Mit zunehmendem Alter verlangsamt das Zentrum den Takt der Steuersignale und stellt schließlich seine Tätigkeit völlig ein. Ein gestörtes Gleichgewicht innerer Regelkreise ist die Folge; Sexual- und andere Organe bilden sich zurück.

Vielleicht hat Altern auch etwas mit dem Immunsystem zu tun. Im Alter bildet sich der Thymus zurück, und es kommt zu einem Abfall der weißen Blutkörperchen. Ein Nachlassen der Abwehrkraft führt zu einer vermehrten Bildung von Autoantikörpern, die sich gegen den eigenen Körper richten und sein Gewebe zerstören. Es kommt zu Zell- und Organschäden und einem häufigeren Auftreten von Krebs.

Gesünder und selbstständiger im Alter

In der ganzen Welt wird intensiv über das Altern geforscht. Ewig jung zu bleiben ist offenbar ein erstrebenswertes Ziel. Aber was ist, wenn es zwar gelingt, das Sterben hinauszuzögern, jedoch nicht das Altern? Der Anteil alter Menschen an der Weltbevölkerung wird in den kommenden Jahrzehnten drastisch steigen. Dass immer mehr Menschen ein Durchschnittsalter von 85 Jahren erreichen, könnte in einigen Jahren zu enormen gesellschaftlichen Belastungen führen, weil ein immer größerer Teil des Lebens in Abhängigkeit oder Pflege zugebracht wird.

Seit Jahren sterben in Deutschland mehr Menschen als geboren werden – im Jahr 2000 lag der Unterschied bei 71.700 Personen. Heute sind 21 Prozent der Bevölkerung sechzig Jahre und älter, im Jahr 2030 wird jeder dritte Bundesbürger über 60 Jahre alt sein. Gleichzeitig wird der Anteil der Kinder und Jugendlichen im Alter von bis zu 20 Jahren auf 17 Prozent sinken. Ähnlich wird es anderen Industrieländern gehen. Die Bevölkerungswissenschaftler schätzen, dass es in der Europäischen Union in 30 Jahren 100 Millionen ältere Bürger geben wird, von denen voraussichtlich etwa 20 Millionen Menschen 80 Jahre alt und älter sein werden.

Es stellt sich die Frage, ob die wenigen Jungen so viele Ältere unterstützen können und wollen. Wahrscheinlich wird die Problematik aber geringer sein als erwartet. Denn in Zukunft werden die Jungen gar nicht mehr so für die Alten sorgen müssen, wie sie es bisher taten. Zukünftig wird die Mehrzahl der Senioren wahrscheinlich noch gesünder und selbstständiger sein als es die Älteren von heute sind.

So sind die Gerontologen überzeugt, dass viele geistige und körperliche Potenziale des Alters noch nicht ausgeschöpft sind. Gelänge dies, könnten mehr alte Menschen ihr Leben ohne größere Beschwerden genießen.

Allerdings zeigen jüngste Ergebnisse der Gerontologie auch, dass zur Zeit irgendwann einmal in jedem Leben eine Grenze erreicht ist. Wie die „Berliner Altersstudie“ unter Leitung von Paul Baltes und Karl Ulrich Mayer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung ergab, erleben vor allem die wirklich Hochbetagten, die älter als 85 Jahre sind, die Unannehmlichkeiten des Alterns: körperlicher und geistiger Verfall, Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit von den Jüngeren.

Aber wird die jüngere der älteren Generation auch in Zukunft diese Unterstützung geben wollen? Martin Kohli, Soziologe an der Freien Universität Berlin, befragte knapp fünftausend Männer und Frauen im Alter von 40 bis 85 Jahren unter anderem zu ihrer finanziellen und gesundheitlichen Situation sowie ihrem Verhältnis zu den anderen Generationen. Das Ergebnis war äußerst erfreulich. „Die Solidarität unter den Generationen ist groß“, erklärte Kohli. Erwachsene Kinder und Eltern stünden häufig miteinander in Kontakt, unterstützten sich gegenseitig durch Geld und Hilfeleistungen und fühlten sich emotional eng miteinander verbunden. 92 Prozent der Befragten waren bereit, hilfsbedürftigen Angehörigen immer die notwendige Hilfe zu geben.

Und vielleicht gelingt doch, was Taufliegen in den Käfigen von Stephen Helfand oder Würmer in Cynthia Kenyons Labor bereits geschafft haben: die Verdopplung der Lebenszeit bei bester Gesundheit und somit eine entscheidende Verzögerung des Alterns.