: Draculas Rentengesuch
Die Kanadierin Catriona LeMay Doan schüchtert die Konkurrenz im 500-m-Eissprint mit dämonischer Bekleidung ein, gewinnt vor zwei deutschen Läuferinnen Gold und spricht vom baldigen Karriereende
aus Salt Lake City MATTI LIESKE
Nanu, fragte sich verwundert der aufmerksame Beobachter des Eisschnelllaufens im Olympic Oval, was ist nur mit diesen 500-m-Sprinterinnen los? Da hat man nun extra für die Olympischen Spiele eine prächtige Halle an den Rand von Salt Lake City geklotzt, mit idealen Bedingungen und dem schnellsten Eis der Welt, und dann laufen die frostverbundenen Ladys nicht mal einen Weltrekord. Das hat es bei diesen Spielen in dieser Arena noch nicht gegeben.
Hauptschuldige war natürlich Catriona LeMay Doan, „der Chef über 500 Meter“, wie es die Berlinerin Monique Garbrecht-Enfeldt wunderbar zu formulieren wusste. Die Kanadierin hat in den letzten beiden Jahren gerade ein einziges Rennen über ihre Paradestrecke verloren, nannte vor dem olympischen Wettkampf den Großteil der zehn besten je gelaufenen Zeiten ihr Eigen und ist natürlich auch die Weltrekordhalterin. Klarer Fall, dass es ihr Job war, den eigenen, in der Heimatstadt Calgary aufgestellten Rekord olympiagemäß zu verbessern.
Fehlten jedoch im ersten Rennen immerhin nur acht Hundertstel bis zur Bestmarke von 37,22 Sekunden, wurde der zweite Lauf mit 37,45 gestoppt. Sofort kam der Verdacht auf, sie habe sich absichtlich zurückgehalten, weil sie nicht wolle, dass der Rekord von Calgary, wo ihr Gatte Bart Doan zufällig Eismeister ist, nach Salt Lake City gehe. Das sei Quatsch, sagte die 31-Jährige, „ich halte mich nie zurück. Ich habe nur zwei nicht so gute Läufe gehabt.“ Läufe, die trotzdem zur Goldmedaille reichten, da Verfolgerin Monique Garbrecht-Enfeldt, nach dem ersten Rennen nur vier Hundertstel zurück, im direkten Duell noch einen Tick langsamer war und auch die nächst platzierten Damen, Andrea Nuyt aus der Niederlande und die Russin Swetlana Zhurowa, doch überraschend schwach liefen, so dass die Erfurterin Sabine Völker sogar noch unverhofft die Bronzemedaille ergattern konnte.
Es ist eben Olympia
Es war ein Rennen der allgemeinen Erleichterung. Sabine Völker kam aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus, nachdem sie endlich mal nicht Vierte bei Olympia geworden war. Monique Garbrecht platzte vor Seligkeit, weil die lange Durstrecke nach ihrem Bronzemedaillengewinn 1992 in Albertville schließlich ein Ende hatte, und Catriona LeMay Doan war froh, den Schrecken ihres sportlichen Lebens überstanden zu haben. Ein Schrecken, der ihr allerdings bekannt vorkam. Auch vor vier Jahren hatte sie nach dem ersten Tag nur hauchdünn vor ihrer Teamkollegin Susan Auch gelegen und erst im Finish die Oberhand behalten. „Ich wusste, wenn ich die Rennen laufe, die ich laufen kann, würde ich am Ende oben stehen“, sagte die Kanadierin. Aber, fügte sie seufzend hinzu, „es ist eben Olympia“. Da würden die anderen stets die Rennen ihres Lebens laufen, sie aber ausgerechnet nicht.
„Das Rennen meines Lebens“, nannte den ersten Lauf auch Monique Garbrecht, die sich wirklich diebisch über ihren Coup freute. Dass sie LeMay Doan ernsthaft gefährden könnte, hatte die 33-Jährige aber nie gedacht. „Ihre Vormachtstellung war mir bewusst. Ich wusste, dass sie ihre Stärken ausspielen würde, und das hat dann auch sie getan“, zeigte sich die Berlinerin nicht allzu traurig über die entfleuchte Goldmedaille. Vor allem auf den ersten 100 Metern zog die hohe Favoritin mit ihren gewohnten kraftvollen Siebenmeilenschritten davon, zusätzlich beflügelt vom hautengen schwarz-roten Rennanzug mit Spiderman-Muster, den für das kanadische Eislaufteam die japanische Designerin Eiko Ishioka entwarf, die 1992 einen Oscar für die Kostüme in Francis Ford Coppolas Film Dracula gewonnen hatte. Grund genug für die Konkurrentinnen, doppelt eingeschüchtert zu sein.
Das Glück der Völker
Am besten funktionierte der transsylvanische Psychoterror bei den Holländerinnen, Russinnen und Japanerinnen, die beiden Deutschen schienen dagegen ein paar Knoblauchzehen im Gepäck zu haben. Noch bei der Sprint-WM hatte wenig darauf hingedeutet, dass Garbrecht und Völker auf ihrer eigentlich schwächeren Sprintstrecke auf dem Podest landen würden. „Unser Trainingsaufbau war gezielt auf die Olympischen Spiele ausgerichtet“, erklärt Sabine Völker. „Wir wollten zwar auch bei der WM gut aussehen, sind aber wohl zu spät aus dem Training rausgegangen. Jetzt bin ich viel frischer.“
Um diese Frische bis zu den 1.000 Metern am Sonntag zu bewahren, wollte die 28-Jährige sogar weitgehend auf das Feiern ihrer ersten Olympiamedaille verzichten. Nicht so Monique Garbrecht-Enfeldt. „Es hat zehn Jahre gedauert bis zur zweiten Medaille, diesen Moment werde ich genießen“, kündigte sie an. Über die Chancen auf der längeren Strecke wollten sich die beiden Deutschen ebenso wenig äußern wie Catriona LeMay Doan. „Es gibt etwa zwölf Frauen, die gewinnen können. Eine davon bin ich“, sagte die Kanadierin, die 1998 im japanischen Nagano über diese Strecke Bronze holte. Aber die 1.000 Meter seien ohnehin bloß ein Bonus. „Die Arbeit ist gemacht.“
In absehbarer Zeit sogar vollständig. Bis zur nächsten Saison will die zweifache Olympiasiegerin noch weiterschlittern, auch weil die Weltmeisterschaft in Calgary stattfindet, dann soll Schluss sein. Somit wird sie nicht wie Bonnie Blair dreimal olympisches Gold hintereinander gewinnen, woraufhin Sports Illustrated erleichtert schrieb: „Bonnie Blair braucht nicht nervös werden.“
Mit der US-Amerikanerin vergleicht sich LeMay Doan aber sowieso nicht. „Man fragt mich immer, ob ich sie zum Maßstab nehme. Überhaupt nicht. Wir sind zwei völlig verschiedene Typen“, sagte sie. „In Turin 2006 werde ich auf keinen Fall antreten“, verspricht LeMay Doan also den Konkurrentinnen, die Draculas Rentenantrag mit einigem Vergnügen zur Kenntnis nehmen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen