piwik no script img

Jenseits der Konventionen

Der Mittelalter-, Death- und Neo-Black-Metal-Szene mal zeigen, wo's früher langging: „Girlschool“ heute in der Fabrik  ■ Von Oliver Rohlf

Manche Totgesagte leben nicht nur länger, sie kehren sogar zurück. Gerade im Musikgeschäft wimmelt es von gestrigen Größen. Derzeit ganz weit vorne in Sachen Reanimation of Rock: die Methusaleme des Metal. Nach den erfolgreichen Wiederbelebungen von Kiss, Destruction oder Rose Tattoo wuchten sich nach über einer Dekade Szene-Abstinenz die vier Damen von Girlschool in den Tourneebus, ihr Können an der eigenen Legende zu messen. Denn Geschichte haben Girlschool tatsächlich geschrieben, wenn auch eine ganz kleine.

Und die geht so: Es ist das Jahr 1978, und ganz Musik-Europa scheint vom Punk besetzt. Nur in England tummeln sich ein paar Gestalten, denen die hausbesetzerische Asi-Attitüde ebenso zuwider ist wie der hohe Bluesanteil im alten Heavy-Rock. Die Wende muss her, und so werden Endlos-Soli durch Riff-Stakkati ersetzt, Double-Bass-Drums glätten die Angeber-Breaks des Prog-Rock, und die rustikalen Schlaghosen werden mittels ganzer Heerscharen von Nietenarmbändern in der Luft zerrissen. Kenner ahnen es längst: die NWOBHM, die New Wave Of British Heavy Metal, treibt ihre martialischen Blüten, um von Britannien aus die musikalische Welt niederzulärmen.

Auch die Freundinnen Kim McAuliffe und Enid Williams aus Earlsfield in Süd-London hat das Distortion-Fieber gepackt. Wie und mit wem ist egal, Hauptsache, die Verstärker stehen auf Maximum. Doch keiner ihrer Männerfreunde nimmt die beiden ernst, geschweige denn mit in seine Band. Und deshalb suchen sich die zwei Zwanzigerinnen mit Kelly Johnson und Denise Duford zwei weitere Zwanzigerinnen und gründen Girlschool. Keine Überzeugungstat, und allzu doll klingt das auch nicht, was da die vier aufs ers-te Demo zocken. Aber zumindest einen können sie damit beindru-cken: Doug Smith. Der verdient zu dieser Zeit sein Geld als Manager von Motörhead und macht das Quartett mit dem sagenhaften Lemmy Kilmister bekannt. Lemmy nickt die Sache ab, und Gitarrist „Fast“ Eddie Clarke produziert einen Teil der Songs von Demoli-tion, dem Debütalbum von Girlschool.

Eine Liaison der Härte und Leidenschaft: Die Band geht mit Motörhead auf Tour, orientiert sich an den Härtevorgaben der drei Dezibel-Derwische und spielt entsprechend: räudig und schnell. Und obwohl sie, auch das eint sie mit Motörhead, eher dem Rock'n'Roll verhaftet sind, rekrutieren Girlschool ihre ersten Fans aus dem klassischen Metal-Lager, für die sie als am härtesten rockende Frauen seit den Runaways oder Suzi Quatro eine musikalische wie sinnliche Offenbarung gleichermaßen sind. Denn Frauen sind in der Männerdomäne Metal damals wie heute zumeist nur als halbnacktes Cover-PinUp verteten.

1982 folgt mit Hit and Run ein Meilenstein von Album, deren Hits „Yeah Right!“, „C'mon Let's Go“ oder „Watch You Step“ locker mit Saxons „Denim and Leather“ oder „British Steel“ von Judas Priest mithalten können. Und dann ist da noch die gelungene Kooperation namens Headgirl, bei der die vier zusammen mit ihren Metal-Mentoren um Lemmy das 10-Inch-Werk The St. Valentines Day Massacre einspielen.

Dass es danach mit Girlschool bergab geht, liegt auch an dem überraschend schlechten Album Screaming Blue Murder sowie dem Weggang von Sängerin Kelly Johnson. Vor allem aber müssen Girlschool erkennen, wie leicht ihnen die stilistischen Verfeinerungen im Metal-Lager jener Zeit den Rang ablaufen. Speed-, Black- oder Thrash-Metal sind einfach noch härter, lauter und schneller als der metallisch durchsetzte Biker-Sound der vier Engländerinnen. Und da niemand mehr so recht weiß, wer noch länger eine Band wie Girlschool braucht, geraten die Rockerinnen um Kim McAuliffe recht fix zur Fußnote der Metal-Geschichte.

Bis, ja, bis zum Wacken Open Air 2000, als Girlschool zwischen all den neuen Mittelalter-, Death- und Neo-Black- Metal- Größen auftauchen und noch einmal ihre alten Hymnen vom freien Leben jenseits der Konventionen singen. Ein wenig nach Leben am Tropf klang das schon, und letztlich gibt es auch keinen wirklichen Grund, warum es Girlschool wieder, oder besser, immer noch gibt. Haken wir das Ganze bis heute Abend erst mal mehr unter „Metal-Reunion Nummer 666“ ab. Danach sehen wir weiter.

heute, 21 Uhr, Fabrik

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen