Die Erben Schliemanns

Hintergrund: Die Entstehung des Gelehrtenstreits um Troja

Troja ist eine deutsche Leidenschaft. Seit den Zeiten des ersten Ausgräbers Heinrich Schliemann ist der Ort an den Dardanellen zu einem Mythos geworden. Homers Sage vom Trojanischen Krieg, das älteste Werk der europäischen Literatur, gehört zur Pflichtlektüre an den Schulen. Den Glauben an einen historischen Hintergrund des Epos wollten sich die Schliemann-Jünger von der skeptischen Wissenschaft nie nehmen lassen.

Seit kurzem gibt es wieder Anlass zur Hoffnung. In der Ausstellung „Troja: Traum und Wirklichkeit“ präsentieren die Archäologen um Manfred Korfmann die Ergebnisse der Grabungen, die sie seit 1988 in der nordwestlichen Türkei vornehmen – und die eine Stadt zeigen, in der sich der Trojanische Krieg durchaus hätte abspielen können. Diese Ausstellung, die zur Zeit in der Bonner Bundeskunsthalle zu sehen ist, löste die Troja-Kontroverse aus: Der Tübinger Althistoriker Frank Kolb erhob vorigen Sommer den Vorwurf, dort werde die Bedeutung Trojas maßlos überzeichnet. Um folgende Punkte wird gestritten:

1. Der Handel. Für Korfmann war Troja eine bedeutende Handelsstadt. Er verweist dabei auf die Lage an den Dardanellen, also dem Schnittpunkt des Seewegs von der Ägäis ins Schwarze Meer mit dem Landweg vom Balkan nach Anatolien. Kolb dagegen glaubt, die Lage allein genüge nicht als Argument. Der Handel jener Zeit habe sich auf den östlichen Mittelmeerraum konzentriert, Troja sei allenfalls der Endpunkt, nicht aber ein Mittelpunkt von Handelswegen gewesen.

2. Die Homerforschung. Korfmann glaubt, bei den von ihm ausgegrabenen Schichten Troja VI und Troja VIIa handele es sich möglicherweise um den Schauplatz des Trojanischen Krieges – eine These, die von dem Baseler Homerforscher Joachim Latacz gestützt wird. Andere Altphilologen halten aber daran fest, dass es sich bei der „Ilias“ um ein rein fiktives Werk handelt.

3. Die Hethiter. Korfmann glaubt, dass das Troja der Bronzezeit enge Beziehungen zum hethitischen Großreich im Innern Anatoliens unterhielt. Als Beleg dient ihm ein Vertrag, den die Hethiter mit einer Stadt namens „Wilusa“ abschlossen. Für Korfmann und die meisten Hethitologen ist sicher, dass es sich dabei um „Wilion“, also Troja handelt. Kolb bestreitet das.

4. Die Ausgrabung. Die Ausgräber um Korfmann wollen unterhalb der Burg von Troja eine große, dicht besiedelte Unterstadt nachgewiesen haben, die mit Graben und Mauer umgeben war. Kolb glaubt dagegen, es könne sich allenfalls um eine locker bebaute Siedlung unterhalb der Burg handeln, die mit weniger als tausend Einwohnern eher dörflichen Charakter hatte.

Joachim Latacz: „Troja und Homer“. Köhler & Amelang, München 2001, 378 Seiten, 25 € Dieter Hertel: „Troja, Archäologie – Geschichte – Mythos“. C. H. Beck, München 2001, 128 Seiten, 7,50 €