Karsai stellt die Machtfrage

Mit dem Vorwurf, der Ministermord sei Folge einer Verschwörung, legt sich Kabuls Regierungschef mit der Nordallianz an

aus Kabul SVEN HANSEN

Auf dem Schoadahi-Salien-Friedhof am Stadtrand Kabuls schaufeln am Samstagnachmittag Männer das Grab des ermordeten afghanischen Luftfahrtministers Abdul Rahman zu. Kabuls mächtigste Politiker stehen dabei, umringt von hunderten Männern und einer in russische Paradeuniformen gekleideten militärischen Ehrenformation sowie mit Kalaschnikows bewaffneten Soldaten und Polizisten. Schon auf dem langen Weg von der zentralen Moschee zum Friedhof stand alle fünfzig Meter entlang der gesperrten Straßen ein Soldat, als der Leichenzug im „Warlord- Style“ mit Dutzenden luxuriösen Landcruisern und Pick-ups voller zum Teil bewaffneter Männer der schwarzen Limousine mit dem Sarg folgte.

Am Grab steht Regierungschef Hamid Karsai. Der glatzköpfige Politiker mit den leicht abstehenden Ohren trägt wieder seine Karakul genannte Lammfellkappe zum gestreiften Chapan, einem usbekischen Umhang. Beide wurden zu Markenzeichen des 46-Jährigen und brachten ihm vom Chef des Modehauses Gucci das Lob ein, der „schickste Mann auf dem Planeten“ zu sein, von anderen den Beinamen „Gucci-Guerillero“. Nachdem die letzte Schaufel Erde auf das Grab geworfen ist, sagt Karsai: „Ich versichere dem afghanischen Volk, dass die Interimsregierung solche Verbrechen bekämpfen und für Frieden und Freiheit sorgen wird.“

Gedämpfter Paukenschlag

Nach der Tat hatte Karsai aufhorchen lassen: Er machte eine Verschwörung innerhalb des Sicherheitsapparats für den Mord verantworlich. Damit widersprach er den Tatversionen, die zuvor Teile seiner Regierung verbreiteten. So hatte es aus dem Außenministerium geheißen, vom tagelangen Warten gereizte Mekkapilger hätten den Minister auf dem Flughafen gelyncht, weil er ihnen nicht das Flugzeug zur Verfügung stellen wollte, mit dem selbst gerade reisen wollte. Aus dem Verteidigungsministerium waren Taliban und al-Qaida des Mordes bezichtigt worden.

Seinen Paukenschlag dämpfte Karsai jedoch, in dem er nun von einer persönlichen Fehde aus vergangenen Zeiten sprach. Politische Motive schloss er kategorisch aus. Bislang wurden fünf Personen verhaftet, drei weitere sollen mit den Pilgern nach Mekka gereist sein und bald ausgeliefert werden.

Der Informationsminister nannte als Verschwörer den Chef des Nationalen Sicherheitsbüros, den stellvertretenden technischen Offizier im Verteidigungsministerium sowie einen Staatsanwalt im Justizministerium. Alle drei flogen nach Mekka. Sie gehören zur Dschamaat-i-Islami, der führenden Kraft der Nordallianz. Zu ihr gehörte früher auch Rahman, der sich dann dem exilierten Exkönig zuwandte, für dessen Rom-Gruppe er bei der Bonner Afghanistan-Konferenz das Ministeramt erhielt.

Am Grab würdigen auch Innenminister Junis Kanuni und der offizielle Führer der Nordallianz, Burhanuddin Rabbani, den Getöteten. Kanuni ist der mächtigste Mann der Nordallianz, wenn nicht Afghanistans. Er kontrolliert den Sicherheitsapparat, dem Hauptverdächtige angehören. Rabbani führt die Dschamaat-i-Islami. Er war Vorgänger Karsais als Staatsoberhaupt und möchte auch sein Nachfolger werden.

Mit dem Verschwörungsvorwurf stellt Karsai indirekt die Machtfrage. Nach außen betont er aber die Einmütigkeit des aus vielen Strömungen zusamengestellten Kabinetts. Eine Kommission soll den Tathergang klären und Maßnahmen gegen Gewalttaten empfehlen. „Wenn es notwendig werden sollte, werde ich die internationale Gemeinschaft auffordern, das Mandat der Internationalen Friedenstruppe Isaf auszuweiten“, kündigte Karsai an. Gegenüber der taz forderte Aufbauminister Amin Farhang sogar eine sofortige Ausdehnung des Einsatzgebiets der Isaf auf mehrere Städte – und den zivilen Teil des Kabuler Flughafens, wo Minister Rahman ermordet worden war.

„Es ist noch nicht abzusehen, ob der Mord eher die Macht Karsais und der Rom-Gruppe oder die der Nordallianz schwächt. Beides ist möglich“, meint ein Diplomat. Gespannt wird erwartet, wie die betroffenen Fraktionen der Nordallianz auf die Verhaftungen reagieren. „Karsai hat den Pandschiris bisher viel zu sehr nachgegeben“, klagt ein langjähriger Karsai-Freund, der seinen Namen nicht nennen möchte, gegenüber der taz. Pandschiris werden die mächtigen Männer der Nordallianz aus dem Pandschir-Tal genannt, allen voran Innenminister Kanuni, Verteidigungsminister Fahim und Außenminister Abdullah. „Bisher hat er versucht, es allen recht zu machen“, sagt Karsais Freund, „jetzt muss er Zeichen setzen.“

Karsai wird vorgeworfen, zu viel ins Ausland zu reisen und sich zu wenig vor Ort um sein Land kümmere. Dass er am Sonntag wegen schlechten Wetters nicht wie geplant nach Berlin fliegen konnte, wird jetzt nicht sehr bedauert. Trotzdem stimmen in Kabul immer noch viele Fazel Karim Fazel zu, dem Chef der afghanischen Minenräumorganisation Omar. Der sagt über Karsai: „Er ist unser bester Mann und verdient Unterstützung. Denn er ist moderat und hat kein Blut an den Händen.“

Beginnende Ungeduld

Die Afghanen werden jedoch langsam ungeduldig, nicht nur wegen ihren zum Teil unrealistischen Erwartungen, sondern auch, weil die Regierung unter den sehr schwierigen Umständen erst wenig Sichtbares geleistet hat. Am 22. Februar ist Karsai zwei Monate Regierungschef, ein Drittel seiner Amtszeit ist dann abgelaufen. „Seit Karsais Amtsantritt hat sich nichts verbessert“, moniert der Verleger und Buchhändler Schah Muhammad. „Karsai kann gut reden und beeindruckt im Ausland mit moderaten Tönen in perfektem Englisch. Doch wir wollen jetzt keine Worte hören, sondern Taten sehen.“

Für Muhammad haben ohnehin die Amerikaner die Macht in Afghanistan. Nur ihre B-52-Bomber verhindern, dass wieder innerafghanische Kämpfe ausbrechen, lautet eine weitverbreitete Meinung. Zwar gilt Karsai als Mann Washingtons, doch seine Macht reicht kaum über Kabul hinaus. Das wurde deutlich, als der von ihm ernannte Gouverneur der Provinz Paktia dort nicht akzeptiert wurde. Die lokale Stammesversammlung widersetzte sich, als Karsais Mann mit Waffengewalt die Provinzhauptstadt Gardes einnehmen wollte. Nach Kämpfen, bei denen es Tote gab, und tagelangen Verhandlungen musste Karsai seinen Gouverneur durch einen anderen ersetzen. Und noch immer ist nicht klar, ob Karsais erster Kandidat die neue Entscheidung akzeptiert.

Verleger Muhammad sieht Karsai und die Lage seines Landes so: „Afghanistan ist wie ein uraltes Flugzeug, dessen Stewardess – in der trügerischen Hoffnung, die Passagiere zu beruhigen – stolz auf den sehr jungen Piloten verweist.“ Der Mord ausgerechnet am Luftverkehrsminister ist in einer solchen Situation wenig beruhigend.