Symbolträchtige Faustschläge

■ Vom Märchen in die musikalische Realität: Hans Werner Henzes federleicht gespielte Kinderoper „Pollicino“, von Schülern aufgeführt auf Kampnagel

Das kurze Kichern und Zusammenzucken der Flötistin vor dem ersten Beckenschlag ist ungewöhnlich. Aber junge Hamburger Schüler und Schülerinnen sind die Hauptakteure in der Staatsopern-Inszenierung von Hans Werner Henzes Kinderoper Pollicino, die am Sonntag, mit tosendem Applaus bedacht, auf Kampnagel Premiere feierte.

Die Handlung beginnt in einem abgelegenen Wohnwagen am Waldrand. Weil sie kein Geld mehr haben, führen die Eltern ihre Kinder, Pollicino und seine Brüder, in den Wald. Beim ersten Mal kann Pollicino sie noch durch einen Trick retten. Frieder Stricker spielt dabei einen bösen Pollicino-Vater und Tanya Aspelmeier eine strahlende, liebevolle Mutter, der man ohne weiteres abnimmt, dass sie ihre Kinder kein zweites Mal wegschicken will.

Um so erschreckender, als Pollicino und seine Brüder später ein zweites Mal im Wald ausgesetzt werden. Dort treffen sie aber gutmütige Tiere, die sie zu einem Menschenfresserhaus führen. Vor allem in den Kostümen der Waldtiere macht es den Akteuren sichtlich Spaß zu spielen.

Pollicino (im abendlichen Wechsel: Luciano Lodi bzw. Daniel Weber) und seinen Brüdern auf der Bühne zuzusehen, ist eine Freude. Ungezwungene Bewegungen stehen neben symbolträchtigen Faustschlägen, ohne dass die Akteure jemals die Ernsthaftigkeit verlören. Die eindrucksvollste Wirkung erzeugen die Momente, wenn sich z.B. die Brüder kollektiv um Pollicino oder die Mutter scharen – oder als ganzes Bild: in der Vollfress-Szene.

Cornelius Meister führt das Dirigat klar durch die durchweg rhythmische Partitur und schwingt, wenn der Menschfresser (als bodenloser Wüterich: Sven Olaf Gerdes) die Jungen zu erschlagen glaubt, auch schon einmal selbst mit seinem Taktstock wie eine Axt durch die Luft.

Am Ende haben Pollicino und seine Brüder sowie die Töchter des Menschenfressers das Abenteuer gemeinsam bestanden. Über den (reißenden) Fluss gelangen sie ans sichere Land, zurück in die reale, heutige Welt. Die Menschenfressertöchter werfen ihre hässlichen Masken ab und entpuppen sich darunter als bildhübsche Mädchen in kurzen Kleidern – etwas zu kitschig und stereotyp für die Realität, aber vielleicht gerade richtig für eine zauberhafte Märchen-Kinderoper mit Happy End.

Mit dem Auftakt der Kinderopernreihe ist es gelungen, die Kinder durchgehend in den Vordergrund zu stellen. Etwas schüchtern noch nehmen sie den Premierenapplaus entgegen, aber es sieht ganz so aus, als ließe sich Henzes Wunsch erfüllen, dass die beteiligten Kinder „sich bewusst werden, mit einem Mal einen Schritt in die musikalische Realität gemacht zu haben.“ Christian T. Schön

nächste Aufführungen: heute, 21., 26. + 28.2., 19 Uhr; 23. + 24.2., 17 Uhr, Kampnagel