Streit um die Savanne

aus Nairobi ILONA EVELEENS

Ostafrikas Nationalparks sind weltberühmt: Serengeti, Maasai Mara und andere Parks voller Löwen, Elefanten, Antilopen und anderer wilder Tiere ziehen jedes Jahr hunderttausende Touristen an und machen vor allem Kenia zu einem der beliebtesten afrikanischen Urlaubsziele für Weiße.

Aber zugleich lebt rund die Hälfte der Menschen in Kenia von weniger als einem Dollar pro Tag. Viele von ihnen blicken mit Neid auf diese endlosen Flächen, auf denen „nur“ Tiere weiden. Nationalparks sind für sie weiße Spielplätze. „Sie sehen sich in einem Wettbewerb mit den Tieren“, beschreibt der Ökologe und Publizist John Mbaria die Ansicht vieler Kenianer. „Warum sollten sie die Wildtiere schützen? Es bringt den meisten Menschen nichts.“

Bebaubares Land wird knapp

Die meisten Nationalparks Kenias wurden während der Kolonialzeit und kurz nach der Unabhängigkeit auf Savannen eingerichtet, die früher Nomaden zur Verfügung standen und die sich seitdem dort nicht mehr mit ihren Herden aufhalten dürfen. Und die herrschende Elite Kenias pflegt sich seit Jahrzehnten große Stücke des besten Landes zuzuteilen oder es an politisch Willfährige zu verschenken. So wird bebaubares Land immer knapper – vor allem für Bevölkerungsgruppen, die als oppositionell verschrieen sind.

Einige tausend Kenianer verdanken zwar ihr Gehalt direkt oder indirekt den Parks, wo sie als Reiseführer arbeiten oder als Angestellte in den Hotels. Aber die Menschen in den Dörfern um die Wildreservate herum haben kaum Vorteile durch den Tourismus. Sie wissen bloß, dass es in den Parks reichlich Fleisch gibt, das sie nicht jagen dürfen, und jede Menge Brennholz, das sie nicht sammeln dürfen. Und sie müssen hinnehmen, dass wilde Tiere ihre Ernte fressen oder Menschen töten. Schadenersatz für vernichtete Ernten gibt es nicht, Hinterbliebene von Getöteten bekommen etwa 500 Euro, gerade genug für eine Beerdigung.

Oft sind es Nilpferde, die Frauen angreifen, während sie im Fluss Wasser holen. Auch Elefanten können zur Plage werden: So musste der „Kenya Wildlife Service“ (KWS) voriges Jahr eine Herde von Elefanten mit einem Großaufgebot von Wildhütern zurück in den Maasai-Mara-Park treiben. Die Tiere waren wegen Wasser- und Futtermangel in die Nähe des Städtchens Narok gezogen. Beinahe eine Woche lang traute sich kaum jemand aus dem Haus, während die Elefanten die Ernten der Bauern auffraßen. Die Treibjagd dauerte Stunden, bis die genervten Elefanten zurück in den Park wanderten.

In Teilen des südlichen Afrika haben Anwohner von Parks ein anderes Verhältnis zu den Tieren: Damit ihre Artgenossen in den Parks überleben können, bezahlt eine bestimmte Anzahl wilder Tiere mit dem Leben. Sie dürfen gejagt werden, was der Bevölkerung ökonomisch nutzt und dieser zugleich einen Anreiz gibt, die Tierbestände der Parks am Leben zu lassen.

Im Luangwa Valley in Sambia etwa werden die Wildbestände auf diese Weise kommerziell genutzt. Dörfer am Rand von Wildparks bekommen eine Anzahl von Tieren zugewiesen. Sie können entscheiden, ob sie die Tiere selber schießen und das Fleisch verkaufen, oder ob sie ihre Abschussrechte an einen Jäger für teures Geld veräußern wollen. Theoretisch sollten die Dorfeinwohner somit kein Interesse mehr daran haben, Wilderer zu unterstützen. Praktisch ist das jedoch nicht immer der Fall, vor allem wenn Wilderer mit einem kleinen Nebenverdienst winken. Darum ist diese Art der Wildparknutzung in den Augen der meisten weißen Kenianer ungeeignet, ist das Land doch berüchtigt für seine Korruptionsanfälligkeit. Die überwiegend wohlhabenden Weißen ziehen den nichtkommerziellen Schutz vor. „Sie haben leicht reden, weil sie keine Armut kennen“, sagt John Mbaria. „Schwarze Afrikaner sind dann bereit, das Wildleben zu schützen, wenn es zur Verbesserung ihres Lebensstandards beiträgt.“

Gerade weil er zwischen schwarzen und weißen Kenianern geführt wird, wird der Streit nicht offen ausgetragen. Auch Weiße sprechen nur in privaten Gesprächen aufrichtig darüber. „Die Unterschiede gehen tiefer als die Hautfarbe“, urteilt ein weißer Kenianer, der nicht namentlich zitiert werden will. Und fährt fort: „Übrigens war der Umgang mit den Wildtieren schon immer gefärbt: Der Wilderer war schwarz und der Tierschützer weiß“.

Weiße jagten nur zum Spaß

Früher betrachteten afrikanische Wilderer das Jagen als etwas ganz Natürliches. Das Fleisch einer Gazelle kann schließlich eine Familie satt machen. Weiße jagten hingegen zum Spaß. Heute wird aus anderen Gründen gewildert. Für wenig Geld besorgen arme Kenianer im Auftrag von Zwischenhändlern Elfenbein von Elefanten und Hörner von Nashörnern. In Kenia bestimmte lange Zeit eine weiße Elite die Politik im Tierschutz und besetzte die obersten Posten. Das wird zusehends schwieriger, denn es gibt inzwischen genügend schwarze Kenianer, die ausreichend qualifiziert und ausgebildet sind, um die Weißen abzulösen. Mit Vorwürfen wie „korrupt“ und „schwach“ verteidigten die Weißen bisher ihre Festung Naturschutz.

Für John Gitongo sind solche Beschuldigungen nichts anderes als ein Zeichen der Ohnmacht. Gitongo ist Direktor der kenianischen Abteilung von Transparency International, einer weltweit tätigen Organisation, die sich dem Kampf gegen die Korruption verschrieben hat. „Lange Zeit kontrollierten die Weißen das Wildlife“, sagt Gitongo. „Diesen Sektor behielten sie nach der Unabhängigkeit als ihren Einflussbereich, nicht zuletzt dank der Devisen, welche die Touristen ins Land brachten, um die wilden Tiere sehen zu können. Heute haben sich die Zeiten geändert, aber die Weißen widersetzen sich der schwarzen Übernahme dieser Machtbastion.“

Es geht also nicht allein um Posten, sondern um Prestige und viel Geld. Einer, der dabei eine führende Rolle spielt, ist Richard Leakey. Er stammt aus der gleichnamigen berühmten Paläontologenfamilie und erwarb sich einen internationalen Ruf durch Ausgrabungen im Norden Kenias, bevor er Direktor des 1989 gegründeten KWS wurde und die Organisation zu einer schlagkräftigen und effizienten Institution ausbaute.

Nach politischen Querelen wurde Leakey 1994 von Staatspräsident Daniel arap Moi fristlos entlassen, zwei Jahre später aber wieder eingestellt, obwohl er in der Zwischenzeit als Mitbegründer einer Oppositionspartei aufgetreten war. 1999 wurde Leakey zum Chef des öffentlichen Dienstes ernannt. Die Regierung wollte damit ihr Bestreben unter Beweis stellen, Korruption zu bekämpfen. Aber Anfang dieses Jahres fand der Seitensprung in die Politik ein jähes Ende: Staatspräsident Moi feuerte Leakey ohne Angabe von Gründen.

Heute wird sein Name wieder genannt – als möglicher Nachfolger von KWS-Direktor Nehemiah Rotich. Der war vor drei Jahren der erste schwarze Kenianer an der Spitze der Tierschutzbehörde geworden. Zum Erstaunen aller wurde Rotich vor kurzem suspendiert – ebenfalls ohne Nennung von Gründen. Sein Nachfolger ist sein bisheriger Vize Joe Kioko, der aber dieses Jahr pensioniert werden soll. Rotich wurde Anfang Februar an die UN-Umweltbehörde Unep in Nairobi berufen.

„Jetzt sind wir an der Reihe“

Mit der Amtszeit von Rotich schien ein neues Kapitel in der kenianischen Umweltschutzgeschichte begonnen zu haben: die Afrikanisierung. Ein schwarzer KWS-Mitarbeiter meint: „Nehemiah Rotich war für uns eine Gallionsfigur. Ich hoffe, dass nun nicht wieder weiß gestrichen wird. Die Weißen haben ihre Zeit gehabt. Jetzt sind wir an der Reihe.“

Weiße Naturschützer mit guten Beziehungen zur Regierung bezeichneten Rotich von Anfang an als „schwach“. Mehr können sie dem als äußerst integer geltenden Mann nicht vorwerfen. In Tierschutzkreisen wird vermutet, dass seine Suspendierung auch mit Leakey zusammenhängt.

Denn die Entlassung deutet indes darauf hin, dass Leakey noch immer Fäden ziehen kann. Der neue Finanzierungsplan für den notleidenden KWS sieht vor, dass mit Hilfe der Weltbank ein Fonds in der Größenordnung von mehreren hundert Millionen Euro geschaffen werden soll, verwaltet von einer Investitionsbank. Die Zinsen daraus wären gewissermaßen das Arbeitskapital für den KWS. Die Idee dazu stammt von Richard Leakey, und er beansprucht für sich die gut bezahlte Stelle als Direktor der Fonds-Verwaltungsgesellschaft.

Wenn die Hand am Beutel weiß ist, so Leakeys Kritiker, bestimmt diese Farbe auch die Philosophie. Violet Maliru, Umweltschutzberaterin und ehemalige KWS-Mitarbeiterin, kritisiert: „Wir dürfen an der technischen Seite des Naturschutzes mitmachen. Aber wir bleiben von der entscheidenden Mitsprache über die Finanzen ausgeschlossen. Das ist das unantastbare Fachgebiet der Weißen.“

Seit der Suspendierung von Rotich werden leitende KWS-Angestellte von einem Posten auf den anderen geschoben. Das Hin und Her gleicht einem Schachspiel, wobei nicht klar ist, ob die weißen oder die schwarzen Schachfiguren gewinnen werden. Sicher ist bloß, dass der Tierschutz verliert.