Der Mann im Revolutionär

■ Jungregisseur Jochen Strauch hat im Neuen Cinema Suzanne von Lohuizens „Mein Vater Che Guevara“ inszeniert

Eine Szene wie in einer kubanischen Bar. Hinten aufgetürmte Stühle, vorn ein paar Tische mit Flaschen drauf, gedimmtes Licht und Zigarrenqualm in der Luft. Doch ist es hier wenig gesellig: an jedem Tisch sitzt nur eine Person. „Zum Glück bin ich zu früh gestorben“ sagt der in der Mitte sitzende Che Guevara (Marc Letzig), zieht genüsslich an seiner Zigarre und fixiert das Publikum, das ihm gegenüber auf kubanischen Kaffeesä-cken hockt. Ganz links sitzt Fidel Castro (Christian Kerepeszki), der am roten T-Shirt mit weißem „Cuba“-Aufdruck und der Schirmmütze unschwer zu erkennen ist; daneben thront Sarah Masuch, die mal Guevaras erste Tochter Hildita spielt, mal seine erste Frau Hilda. Hinten rechts, fast im Dunkeln, Heike Falkenberg als Guevaras große Liebe Aleida.

Gleich zu Anfang verliest Hildita in Suzanne von Lohuizens Stück Mein Vater Che Guevara im Neuen Cinema den letzten Brief von Ernesto Guevara, wie der Mann in Wirklichkeit hieß, an seine Familie: „Vor allem bewahrt euch die Fähigkeit, jede Ungerechtigkeit, wo und gegen wen auch immer auf der Welt, aufs Tiefste zu empfinden. Das ist die schönste Eigenschaft eines Revolutionärs.“ Die schlechte ist leider die, dass er jederzeit mit dem Tod rechnen muss, und so erscheint sogleich Max Urlacher alias Mario Teran, der junge bolivianische Soldat, der Guevara erschießen soll und, da er noch nie tötete, Gewissensbisse hat.

Und so sieht das Publikum, wie das von Suzanne von Lohuizen geschriebene Stück unter der Regie von Jochen Strauch (der bereits von Lohuizens Der Junge im Bus inszeniert hat) auf ungewöhnliche Weise mit Leben gefüllt wird. Der kleine Raum des Neuen Cinema wird komplett bespielt; oben am Geländer künden große verwitterte Schilder von der Revolution; die DarstellerInnen sind voller Elan, scheuen keinen Haut- oder Augenkontakt. Wortgefechte zwischen Che und Fidel geraten zu Akrobatik, die nur angedeuteten Kämpfe für die Revolution werden eher sparsam erlebbar gemacht.

Großartig, dass die DarstellerInnen mit Fußklopfen und Handschlägen ihre eigene rhythmische Untermalung kreieren und und nur manchmal zu kubanischer Musik aus der Konserve gegriffen wird. Das Stück sucht nicht den Mythos Ernesto „Che“ Guevaras zu entzaubern, es will eine andere Seite erlebbar machen: die des Mannes hinter dem Revolutionär, den zärtlichen Familienvater, den sich betrogen fühlenden Menschen, der von Fidel Castro verstoßen und schließlich seinem Schicksal überlassen wird.

Barbara Schulz