„Hadern macht unsympathisch“

„Ich muss als Politikerin Argumente finden, die auch säkularisierten Menschen zugänglich sind“

Interview HEIDE OESTREICH
und ULRIKE WINKELMANN

taz: Frau Fischer, da Sie gerade husten: Rauchen Sie eigentlich wieder?

Andrea Fischer: (Lacht) Das geht jetzt niemanden mehr etwas an. Es gehört zu meinen neuen Freiheiten, dass ich darüber keine Auskünfte mehr gebe, was ich privat tue.

Was werden Sie machen, wenn Sie im Herbst nicht mehr Bundestagabgeordnete sind?

Der Arbeitsmarkt für junge, ehemalige Ministerinnen ist neu, unerforscht und vermutlich eher eng. Aber ich habe viel Management gelernt, ich habe intellektuelle Fähigkeiten, ich schreibe gerne. Mal gucken, wo ich das so unterbringen kann, dass ich auch noch Geld damit verdiene. Entgegen landläufigen Vorurteilen habe ich nämlich nicht ausgesorgt. Aber ich bin in Aufbruchstimmung und freue mich auf etwas Neues.

Geplant war der Aufbruch ja nicht. Sie haben selbst damit gerechnet, dass Ihr Landesverband Sie noch einmal aufstellen würde.

Die Mitgliederversammlung der Berliner Grünen hat eine bewusste Entscheidung für den Osten getroffen als sie Werner Schulz aufstellte.

Sie haben oft die Befürchtung geäußert, dass Ihr Job Sie verhärten könnte. Ist so eine Abservierung nicht noch viel bitterer?

Verhärtung, Verbitterung, Hadern, das macht einen doch nur unsympathisch und Falten um den Mund. Politik ist ein persönlich riskantes Geschäft. Ich habe es frei gewählt und mich so auch mit den Risiken einverstanden erklärt.

Welche Lehren haben Sie gezogen?

Nach meinem Rücktritt als Gesundheitsministerin vor einem Jahr haben viele Menschen gesagt, das fänden sie schade, weil ich keine typische Politikerin gewesen sei. Das hätten sie geschätzt. Je öfter ich das las, desto mehr dachte ich: ein zweifelhaftes Kompliment. Denn wie jede Profession unterliegt auch die Politik eigenen Regeln. Und denen muss man sich stellen. Man kann sich nicht darüber erheben und alles ganz anders machen. Ich habe mich in einigen Punkten den Regeln des Geschäfts nicht gebeugt. Das ist eine Erklärung dafür, warum ich nicht weitermachen konnte.

Welche Punkte sind das?

Es geht um die Frage der Sicherung und des Ausbaus der Machtbasis. Dass ich wenig Machtpolitik betrieben habe, mögen einige Menschen sympathisch finden. Heute würde ich sagen: Auf die Machtsicherung muss man einfach Energie verwenden. Andererseits kann ich sagen: Ich habe in meinen ganzen Jahren in der Politik meine Freunde nicht verloren. Und vielleicht ist das ja unter dem Strich die bessere Bilanz, als 16 Jahre Gesundheitsministerin gewesen zu sein.

Wenn man sich also für die Politik entscheidet, dann muss man seine Ansprüche an Authentizität vergessen? Das klingt nicht sehr grün.

Hier geht es nicht ums Authentische. Aber die Grünen haben, ebenso wie Frauen, eine Tendenz dazu, Macht vor allem für eine unangenehme Angelegenheit zu halten. Wenn wir dann doch mal Macht in die Finger bekommen, dann werden wir natürlich alles ganz anders machen. Das funktioniert nicht. Die Regeln der Macht sind nicht unveränderlich, nur: Individuen können sie nicht verändern.

Sie haben aber eine weibliche Mehrheit in der Fraktion.

Frauen halten zu wenig Macht zu kurz in den Händen, als dass sie ihr schon einen eigenen Stempel hätten aufprägen können. So weit wird es vielleicht in zwei oder drei Generationen sein.

Empfinden Sie Ihren Führungsstil als weiblich?

Vor so einem Klischee schrecke ich zurück. Trotzdem suche ich zusammen mit anderen Frauen nach eigenen Kriterien dafür, wo wir hin wollen. Zugegeben: In der Politik ist nach 30 Jahren Frauenbewegung erschreckend wenig geschehen. Wir werden immer noch an unglaublichen Klischees gemessen: Ich hätte nie geglaubt, dass zu Beginn des dritten Jahrtausends noch so viel Mist produziert werden kann.

Ein Beispiel?

Das Ausmaß an Klippschulpsychologie, das ich in der Presse über mich ergehen lassen musste, hat mich verblüfft. Vom Aussehen bis zu den letzten Gefühlen, die man meinte, bei mir entdecken zu können, wurde mehr über mich als über alle Männer zusammen geschrieben. Das war krass, zumal Aussagen über mich als Person als Waffe gegen meine Politik eingesetzt wurden. Auch meine politischen Gegner in der Gesundheitspolitik sind da vor keinem Sexismus zurückgeschreckt.

Wer Gefühle zeigt, muss damit rechnen, dass er anhand der Gefühle beschrieben wird.

Zweifellos sieht man mir meine Gefühle mehr an als anderen. Aber ich rede von Zuschreibungen, sexistischen Projektionen: Ich habe in unendlich vielen Artikeln gelesen, dass der Kanzler mir immer nachgeben würde, weil ich bei ihm im Sessel säße und weinte. Das war doch eine bizarre Projektion: Ich habe vor tausend hasserfüllten Ärzten in Cottbus durchgehalten, ohne die Contenance zu verlieren, und da soll ich zum Kanzler gehen, um ein Tässchen zu weinen?!

Trotz weiblicher Fraktionsmehrheit und Erfahrung von Sexismus machen die Grünen keine ausgeprägte Frauenpolitik. Wie kommt’s?

Nicht ausgeprägt? Wir haben erreicht, dass die Frage der Familienpolitik neuerdings sehr engagiert vom Spitzenkandidaten vertreten wird. Wir haben erreicht, dass Finanz- und Sozialpolitik keine Jungs-Domäne mehr ist. Als Gesundheitsministerin habe ich für die Aufwertung der Pflegeberufe gekämpft, denn Medizin ist mehr als nur Männer in weißen Kitteln.

Sie haben auch schon von einer anderen Sorte Frauenpolitik profitiert: Sie haben mal offensiv vertreten, dass Sie eine Quotenfrau sind.

Dazu stehe ich. Die Quote war und ist ein unverzichtbares Instrument. Aber sie ist kein Ziel. Auf mittlere Sicht sollten wir überlegen, ob wir sie wirklich noch haben wollen. Aber ich schäme mich nicht dafür, dass ich durch die Quote so weit gekommen bin.

Wenn Sie Frauen in Machtpositionen ansehen: Wie macht denn etwa Ihre Nachfolgefrau als Gesundheitsministerin ihren Job?

Ich werde bis zum Ende der Legislaturperiode ohne einen Kommentar zur Politik Ulla Schmidts durchkommen.

Als Sie als Ministerin zur Strategie der kleinen Schritte umschwenkten, wurde das für geschickt gehalten. Schmidt wird jetzt vorgeworfen, dass sie nur kleine Schritte statt des großen Wurfs wage. Wie kommt das?

„Ich habe michin einigen Punktenden Regeln des Geschäftsnicht gebeugt“

Man kann eine Politik der kleinen Schritte mit gutem Grund dann verfolgen, wenn klar ist, unter welchem Dach man diese Schritte verfolgt und auf welches Ziel man zusteuert.

Sie hatten einen großen Feind in Ihrer Zeit als Ministerin: Rudolf Dreßler. Es heißt, Sie hätten den großen alten Mann der SPD-Sozialpolitik besser einbinden müssen.

Aber das habe ich doch zeitlich und persönlich intensiv getan. Das kommunikative Problem, das wir hatten, hatte mit meiner Person nichts zu tun.

Aber mit seiner?

Aus seiner Sicht war jede Gesundheitsministerin die falsche, solange es nicht Rudolf Dreßler war.

War es ein persönlicher Erfolg, dass der Bundestag kürzlich Ihrer Gesetzesvorlage zum Import von embryonalen Stammzellen zugestimmt hat?

Ich halte die Entscheidung für richtig, obwohl ich mich schwer damit getan habe.

Wie sehr ist Ihre Position von Ihrer katholischen Erziehung und dem Umstand geprägt, dass Sie mit Behinderten aufgewachsen sind?

Natürlich bin ich stark durch meinen Hintergrund geprägt. Unabhängig von Katholizismus und Familiengeschichte muss ich aber als Politikerin Argumente finden, die auch säkularisierten Menschen zugänglich sind. Aus der Abtreibungsdebatte kann man tatsächlich vor allem lernen, dass wir uns über den Status des Embryos nie einigen werden. Es geht dabei um grundlegende Gefühle. Und trotzdem muss man einen Kompromiss finden. Wer weiß besser als eine Grünen-Politikerin, dass die Betroffenheitspolitik uns nicht wirklich weiterhilft?

Wie lange sind Ihre Wertvorstellungen noch politikfähig in der Berliner Republik, die so sehr zu Pragmatismus und Fortschrittsgläubigkeit neigt?

Daran knabbere ich gerade. Das Problem sind nicht die Technokraten. Sondern dass sie für eine Mehrheit der Bevölkerung sprechen, und nicht wir „Wertkonservativen“. 50 Prozent der Deutschen finden, dass wir mit Embryonen forschen sollen. Drei Viertel wollen die Präimplantationsdiagnostik (PID), also den Gencheck von Reagenzglas-Embryos. Ich fürchte, dass die sehr bedächtige Position, die das Parlament bislang eingenommen hat, eine letzte Barriere war. Ich weiß nicht, wie die Debatte um die PID im nächsten Jahr ausgehen wird. Ich stelle auch fest, dass die Debatte in den USA und Kanada ganz anders geführt wird. Was folgt daraus, dass unsere Medizingeschichte zwar noch der politischen Klasse bewusst ist, aber im öffentlichen Bewusstsein keine Rolle spielt? Dass hier kein wirklicher Prozess stattgefunden hat, etwas über die Gefahren der Eugenik zu lernen? Das wird mich in der nächsten Zeit beschäftigen.