Ein Künstlerdorf in der Kritik

■ Arn Strohmeyer unterzieht die Frühgeschichte des vermeintlich „europäischen“ Künstlerdorfes Worpswede einer ideologiekritischen Analyse. Die „Nestbeschmutzer“-Vorwürfe gegen ihn sind leiser geworden, die Ignoranz bleibt

„Die Gründungsgeneration des Künstlerdorfes schöpfte aus linken Quellen genauso wie aus rechten.“ Und: „Waren Paula Becker-Modersohn, Rainer Maria Rilke und Heinrich Vogeler etwa Wegbereiter des Nationalsozialismus?“

Viele Worpsweder halten dagegen, wenn Arn Strohmeyer seine Thesen zum völkischen Ursprung des „Mythos Worpswede“ vorträgt.

Etwa 70 Zuhörer waren in die „Alte Molkerei“ gekommen. „Anlass für den Vortrag“, erläutert Organisator Helmut Stelljes vom Worpsweder „Arbeitskreis Kultur“, „war, dass unsere Tourismus-Zentrale mit einem ,Mythos Worpswede' wirbt, als wenn daran nichts Besonderes wäre. Aber dieser Mythos hat noch eine andere, schreckliche Seite – eine völkische.“

Diese Aussage deckt sich mit Strohmeyers Kernthese, die Gründung der Künstlerkolonie Worpswede sei nicht zivilisationskritisch sondern auch völkisch motiviert gewesen: „Die erste Generation der legendären Worpsweder Maler – Otto Modersohn, Fritz Mackensen und andere – sind nicht aus reinem Überdruss aufs Land geflohen, wie dies um 1900 herum in ganz Europa gang und gäbe war.“ Genau das aber legte kürzlich die Ausstellung „Künstlerkolonien in Europa – Im Zeichen der Ebene und des Himmels“ im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg nahe. Strohmeyer: „Die Gründer waren aber keine multikulturellen Proto-Europäer – sie fühlten sich einer fortschrittsfeindlichen Naturideologie und stammlich orientierten Kunstdoktrin verpflichtet.“ Kunst sollte niederdeutsch, völkisch, lokal und heimatbezogen sein.

Dieses Verständnis geht zurück auf das 1890 erschienene Werk „Rembrandt als Erzieher“ des völkischen Ideologen Julius Langbehn. Das Buch war im Deutschen Reich begeistert aufgenommen worden. Mythische Inkarnation dieser Idee war den Malern die „niederdeutsche“, auch „niedersächsisch“ genannte Landschaft mit ihren „gesunden“ Bauern, die in „idyllischen“ Dörfern wie Worpswede ihre Scholle beackern. Strohmeyer: „Den Naturalismus, der sich für die bittere Armut der Moorbewohner interessiert hätte, lehnten sie ab.“ Mehr noch: „Dieser niederdeutsche Mythos ist dann in die nationalsozialistische Blut-und-Boden-Ideologie übergegangen.“ Und das nicht nur ideengeschichtlich: Der anfangs „antiakademische“ Maler Mackensen wurde später Direktor der von Hitler geförderten „Nordischen Kunstakademie“ in Bremen.

Strohmeyer rüttelt mit seinen Analysen auch an das aktuelle Selbstverständnis Worpswedes: „Nach 1945“, sagt er, „musste ein neuer Mythos her: Der von den harmlosen, unpolitischen, naturliebenden Landschaftsmalern.“ Bereits vor zwei Jahren hatte Strohmeyer, im Hauptberuf Politik-Redakteur der „Bremer Nachrichten“, ins Wespennest gestochen. Damals erschien sein Buch „Landschaft, Licht und niederdeutscher Mythos“.

Er und seine Mitautoren Kai Artinger und Ferdinand Krogmann wurden als „Nestbeschmutzer“ beschimpft. Bis heute wird das Buch in Worpsweder und Bremer Buchhandlungen kaum ausgelegt. Auch der Weser-Kurier hat bisher keines der drei Strohmeyerschen Bücher, die sich mit der Vorgeschichte des Nationalsozialismus in Bremen und umzu befassen, besprochen.

Auf Worpswede, aber auch auf Bremen und namentlich die Böttcherstraße kommt in diesem Jahr noch einiges zu. Im April erscheint Strohmeyers neues Buch „Parsifal in Bremen“, Untertitel: „Richard Wagner, Ludwig Roselius und die Böttcherstraße.“ Strohmeyer legt in diesem Werk auseinander, inwieweit die Ideologie, aus der heraus der Bremer Unternehmer Roselius (Kaffee HAG) die „romantische Märchenstraße“ gebaut hat (vgl. taz 31.12.01), der Gedankenwelt des Antisemiten Richard Wagner und Houston Stewart Chamberlains entspringt. Letzterer gilt als direkter Vorläufer der NS-Ideologie. „Es gibt noch eine ganze Menge zu entmythisieren“, stellt Strohmeyer fest. Thomas Gebel