Durch die Armbrust ins Auge

Präsident George Bush jr. macht mobil, um vor den Problemen im eigenen Land abzulenken. Selbst schuld, wer sich das gefallen lässt. Ein Gruß von der US-Heimatfront

George junior will den Krieg nicht enden lassen, denn einen Kriegsherrn wählt man nicht ab

Man liest ja viel über die Rüstungslobby dieser Tage, aber ich wusste nicht, dass es auch eine Armbrustlobby gibt. Die „New York State Crossbow Hunters Association“ hat zum Marsch durch die Institutionen geblasen und will endlich die uneingeschränkte Erlaubnis, Großwild auch mit der Armbrust zu jagen. Meine Lokalzeitung, das Ithaca Journal, verfolgt die Sache mit gebotener Aufmerksamkeit. Dazu muss man wissen, dass es in den USA mehrere Sorten von Jägern gibt: die High-Tech-Freaks, die sich mit Nachtsichtbrillen und Funkgeräten im New Yorker Laubwald vorkommen wie die „Special Forces“ in Tora Bora; die Nostalgiker, die vom Unabhängigkeitskrieg träumen und den Vorderlader schultern; die Malocher, die auf der Jagd ihren Jahresurlaub verbringen und dabei noch Fleisch beschaffen, das sie sich im Supermarkt nicht leisten können; schließlich die Puristen, die mit Pfeil und Bogen stundenlang in der Kälte ausharren. Es ist für die staatliche Angel- und Jagdbehörde schwer genug, die verschiedenen Gruppen in sicherem zeitlichem Abstand auf die Pirsch gehen zu lassen, denn ein Bogenschütze, im Gebüsch versteckt, kann im Nachtsichtgerät eines Gewehrschützen nach sechs Dosen Bier schnell zum Hirsch mutieren. Eine zusätzliche Waffengattung macht die Sache nicht einfacher, und ich erzähle Ihnen das alles nur, um zu verdeutlichen, wie weit die „Achse des Bösen“ vom New Yorker Hinterland entfernt ist.

Es könnte also sein, dass morgen Bagdad bombardiert wird, und aus den Faxgeräten der Parlamentarier des Bundesstaates New York quellen die Protestbriefe der „New York Bowhunters Inc.“. Das sind die Bogenschützen, die auf keinen Fall den Wald mit der Armbrustkonkurrenz teilen wollen. All politics are local – um den Rest kümmert sich der Präsident zur Zufriedenheit seiner Bürger. Die sind bei weitem nicht so martialisch gestimmt, wie man in Europa meinen möchte, sie mokieren sich sogar über George Bushs „Achse des Bösen“, „schließlich haben wir auch schon eine Menge Schweinereien in der Welt angerichtet“. Larry hat das neulich im Veteranenlokal von Ithaca gesagt, und die anderen haben bedächtig genickt. Larry hat sieben Einsätze in Vietnam hinter sich und gibt an der Bar vor den anderen den Ton an. Aber natürlich stehen sie hinter Bush, vielleicht weil sie ihm einfach dankbar sind, dass dieser unerklärte und unbegrenzte Krieg so wunderbar nebensächlich geworden ist. Wer will, kann sich heroisch fühlen, aber ähnlich wie im Sport verlangt dieser Heroismus keine Opfer. Die riskante und grobe Arbeit des Bodenkriegs haben überwiegend die verbündeten Eingeborenen verrichtet. „Tribal elements“ nannte sie unlängst ein Sprecher des Pentagon.

George W. Bush höchstselbst hat dem Krieg etwas Sportliches verliehen. „Ich bin Baseballfan,“ erklärte er der Washington Post, „ich brauche eine Ergebnistafel“, um Strikes und Homeruns zu notieren. Seine Mitarbeiter haben ihm eine Tafel mit Fotos führender Al-Qaida- und Taliban-Mitglieder gebastelt, die er einen nach dem anderen durchstreicht. Womöglich hängt in dieser Dead-or-alive-Galerie seit Bushs letzter Rede vor dem Kongress auch Saddam Hussein und – unter Vorbehalt – Kim Jung Il und der Ajatollah Chamenei.

Sehen Sie sich bei nächster Gelegenheit im Fernsehen die mutlosen Gesichter der demokratischen Oppositionsführer im US-Kongress an. Dann wissen Sie, dass die „Achse des Bösen“ zunächst einmal ein innenpolitisches Manöver war. George junior möchte nicht das Schicksal seines Vaters erleiden, der nach gewonnenem Krieg wegen schlechter Wirtschaftslage von einem demokratischen Frauenhelden abgelöst wurde. George junior will den Krieg nicht enden lassen, denn einen Kriegsherrn wählt man nicht ab – egal wie rabiat er die Staatskasse plündert. Einem Präsidenten im Krieg nimmt man auch nicht übel, wenn er „Machismo Extra Large“ als Politikstil wählt. Seit dem 11. 9. gibt es in den USA ohnehin eine Renaissance des männlichen Heldengeschlechts entweder in Gestalt des Soldaten der „Special Forces“ in der afghanischen Wildnis oder des Feuerwehrmanns im Inferno des World Trade Centers – das sei nun mal eine „gefährliche, anstrengende und schmutzige Arbeit, die nur Männer erledigen können“, schrieb der National Review, die Postille für den gestandenen Konservativen. Genau so sieht sich die Bush-Regierung in der Außenpolitik: Amerika verrichtet das Kriegshandwerk; Europa, die alte Diva, hat Bedenken und Migräneanfälle; die UNO übernimmt die Rolle der Putz-und Trümmerfrau. Das ist kein Unilateralismus, sondern geschlechtliche Arbeitsteilung auf geostrategischem Niveau.

Die Mehrheit der Amerikaner regt es nicht weiter auf, wenn die eigene Regierung internationale Verbündete behandelt wie ein Konzernboss die Aushilfskräfte von der Leihfirma. Selber schuld, wer es sich gefallen lässt.

Ein Jäger mit Gewehr hält nach sechs Bierdes Nachts schon mal einen Bogenschützen für einen Hirsch

Unruhe entsteht erst, wenn die eigene Regierung mit dem amerikanischen Kongress ebenso umspringt. Nein, kein Aufruhr bahnt sich an, aber erste Anzeichen des Unmuts. Vizepräsident Dick Cheney steht ein Gerichtsverfahren ins Haus, weil er, frei nach Helmut Kohl, dem Kongress nicht sagen will, welche Industrievertreter – außer Enron – ihm in vertraulichen Arbeitssitzungen die Energiepolitik der nächsten Jahre diktiert haben. Die Presse, deren investigative Energie nach dem Lewinsky-Skandal verbraucht war, ist nicht erbaut über die Pläne des Pentagons, Unterstützung für den Krieg gegen den Terrorismus durch gezielte Falschmeldungen zu mobilisieren. Schön, dass die Regierung jetzt endlich dazu übergehe, Informationen herauszugeben, auch wenn sie erfunden seien, schrieb die New York Times. „Bislang hat sie Informationen meist unterdrückt“ – zuletzt mit einem kaum bemerkten Vertuschungsmanöver, das uns schnurstracks zurück auf die „Achse des Bösen“ führt. Vor ein paar Wochen lief die Geheimhaltungsfrist für die Amtsunterlagen der Regierung Reagan ab – tausende von Memos, Protokollen und Akten, unter anderem aus den Jahren des ersten Golfkriegs zwischen dem Irak und dem Iran. Damals unterstützten die USA Saddam Hussein mit Geheimdienstmaterial, gestatteten den Export von Komponenten für Biowaffen, und der Ausspruch eines CIA-Beamten machte die Runde in Washington: „He is a son of a bitch, but he is our son of a bitch.“ Dann wechselte Washington kurz die Seiten, verkaufte trotz Embargo 4.000 Panzerabwehrraketen an den Iran, um amerikanische Geiseln im Libanon freizubekommen und das Geld für die Raketen gesetzeswidrig an die Contras in Nicaragua weiterzuleiten. Ronald Reagan, so die amtliche Version, habe Mittagsschlaf gehalten, während sein Beraterstab den „Iran-Contra-Deal“ austüftelte. George Bush senior war damals Vizepräsident. Bush junior hat sich und seinen Vorgängern nun per Exekutivorder das Recht verschafft, die Freigabe der Akten zu blockieren. Family values – der Mann weiß, was er seinem Vater schuldig ist.

Ich halte Sie auf dem Laufenden, was den Kampf der Armbrustlobby betrifft. ANDREA BÖHM