: Löffel aus der Hand genommen
■ Neues vom Beginenhof: Die Frauen haben einen Hofrat gewählt, der das Leben im Frauenwohnprojekt organisiert / Vermietungen im Gewerbebereich
Sie haben viel Geld verloren, sie waren geschockt, und jetzt scheint es, als kämen sie wieder auf die Beine: Die Frauen im Beginenhof beginnen zu begreifen, welches Potenzial in ihrem Frauenwohnprojekt steckt. „Die Wahrheit wird nicht doziert, sondern gelebt“. Auch wenn der Spruch von einem Mann kommt, von Hermann Hesse nämlich – es ist Dagmar Sommerfelds Lieblingsspruch. Und einmal mehr findet sie ihn durch die neuen Entwicklungen bestätigt. Dagmar Sommerfeld gehört zum fünfköpfigen Beginenhofrat, dem Selbstverwaltungsgremium, das sich die 66 Frauen und 25 Kinder und Jugendlichen – die Beginen sprechen von „91 Menschen“ – im letzten Herbst gewählt haben.
Da war die einst als Vorzeigeprojekt der Expo 2000 gepriesene Frauenarbeits- und -wohneinrichtung längst in der Insolvenz. Jede der Frauen, die mitunter sogar aus anderen Städten extra wegen des Beginenhofes nach Bremen gekommen waren, hat zwischen 1.250 und 150.000 Mark an Genossenschaftseinlagen und Darlehen verloren.
Viele von ihnen sind aus dem Beginenhofverein, der unter Erika Riemer-Noltenius und Elke Schmidt-Prestin das Projekt realisiert hat, ausgetreten – aus Enttäuschung und Wut. Und wenn Erika Riemer-Noltenius, die trotz der finanziellen Pleite bereits den nächs-ten Beginenhof in Bremen plant, demnächst in der Neustadt einzieht, dann soll sie in die Gemeinschaft aufgenommen werden. Auch wenn der Abstand der Bewohnerinnen zu den Initiatorinnen inzwischen deutlich zu spüren ist: „Ich will keine ausschließen“, sagt Fanny Reuter, ebenfalls im Hofrat, „ich unterscheide Erika Riemer-Noltenius als Genossenschaftsfrau und als privater Mensch, der hier wohnt.“ So großmütig wie Reuter sind längst nicht alle Beginen. Der Verein, sagen sie, sei für die Verbreitung der Beginen-Idee zuständig, aber nicht für das Geschehen vor Ort. „Der Verein ist Mieter von zwei Räumen im Gewerbebereich, mehr nicht“, sagt Fanny Reuter. „Der Verein bestimmt nicht mehr über uns“, meint auch Dagmar Sommerfeld. „Das wollen wir nicht mehr.“ Die Beginen haben dem Verein den Löffel aus der Hand genommen.
Und während Riemer-Noltenius ihr Haus verkaufen muss und dennoch weiterplant, während der Insolvenzverwalter Detlef Stürmann das verschuldete Projekt verwaltet, kommen die Frauen in der Neustadt an.
Im Web-Punkt der Schule Gottfried-Menken-Straße hat Sommerfeld ein Internetcafé für Frauen, Kids und Jugendliche eingerichtet. Mit dem Verein Spielräume planen haben sie Kontakt aufgenommen, um herauszufinden, wie der Beginenhof kinderfreundlicher zu gestalten sei. Und mit dem DRK, das dort im August eine Kindertagesstätte eröffnen wird, wollen die Frauen auch in Verbindung treten.
Aus dem Kiez gibt es inzwischen viele positive Rückmeldungen. „Wir wollen Anlaufstelle sein“, sagt Dagmar Sommerfeld, „wir haben nur die Kraft noch nicht ganz.“ Mit der Bestandsaufnahme ihrer Situation und deren Ursachen sind sie zurzeit nicht durch.
Auf den Insolvenzverwalter halten die Beginen nach anfänglichen Schwierigkeiten inzwischen große Stücke: Dagmar Sommerfeld spricht von „sehr großem Entgegenkommen“ seitens des Anwalts. Fanny Reuter sagt: „Er bezieht uns als Rat mit ein.“ Die Bewohnerinnen seien nach all den Turbulenzen heute etwas beruhigter.
Auch von Seiten des Insolvenzverwalters kommen nur freundliche Töne. „Wir sind bemüht, engen Kontakt zu den Bewohnerinnen zu halten“, so Oliver Liersch, als Stürmanns Mitarbeiter für den Beginenhof zuständig. „Und wir sind dankbar, wenn sich dort Frauen zusammenfinden, die Ansprechpartnerinnen sind.“
In den Gewerbebereich durften bereits vor der Insolvenz schon männliche Unternehmer einziehen, in den Wohnungen ist das immer noch tabu. Und soll auch so bleiben. Zumindest, so Liersch, „solange die Vermietung unter dem Beginenkonzept wirtschaftlich darstellbar ist.“ Leerstand über längere Zeit werde man nicht dulden, dann eher an Männer vermieten. „Aber die Frage stellt sich nicht, wir haben fast alles vermietet, weitere Interessentinnen sind schon da.“
Unten im Gewerbebereich stehen noch einige Läden leer; in Kürze wird dort ein Bioladen mit Bistro eröffnen, eine Hebammenpraxis wird einziehen, im August eröffnet das DRK im Beginenhof seine Kita. Das Leben im Frauenprojekt geht also weiter. Dagmar Sommerfeld macht Mut: „Wir wollen jetzt das Positive sehen.“ Susanne Gieffers
Kontaktstelle Beginenhofrat Tel.: 54 86 855
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