Warten auf Stoiber

Wenn Käufer zu Philosophen werden und Signets und Slogans von Umweltschützern und Friedensbewegten zum letzten Schrei: Am Freitag fand im undergroundigsten HipHop-Club der Stadt, dem Kurvenstar, eine Modenshow der besonderen Art statt

von JOACHIM LOTTMANN

Über den Zusammenhang von Investitionsruinen und Kreativität ist in Berlin schon viel geredet worden. Ein gutes Beispiel dafür ist der Kurvenstar am Hackeschen Markt, genannt K-Star. „So wie der menschliche Körper, so erneuert sich der Kurvenstar ständig“, sagt Stephan Schilgen (32). 1997 gegründet mit zwei Kästen Wodka und Red Bull, nach sechs Monaten totgesagt, wucherte das Phänomen inzwischen zum Gegenimperium einer schwer definierbaren Ost-West-Jugendszene.

Besagter Schilgen doziert über seinen neuesten Clou, die Zusammenlegung von Bar, Restaurant und Club. Für Berliner sei es schwierig, sich an die Bar zu setzen und Essen zu bestellen – in New York sei das selbstverständlich. „Im K-Star gehst du nach hinten und bist in der Disco“, untertreibt er kokett. Der Kurvenstar ist keine Disco, sondern der wohl beste und undergroundigste HipHop-Club der Stadt. Zumindest die einzige Stelle, wo Ost- und Westjugend zusammenwachsen (wenn auch nur ihre winzigen Bohème-Segmente). Aber Schilgen liebt die Verwirrung. So wird um 17 Uhr ein „Arbeitermenü“ ausgegeben.

„Die Leute, die das bestellen, müssen sich vorher die Hände waschen.“ Daneben gibt es ein „Seniorenmenü“ (mit Süßstoff für Diabetiker) und einen „Caipirinha-K-Star-Burger“ für Sportler. „Senioren, Arbeiter und Sportler sind um 17 Uhr die richtigen Leute“, lächelt der Chef sardonisch und fügt hinzu: „Die können sich dann gleich in die Homepage ‚www.kimwillkiffen.de‘ einloggen, um die medizinische Indikation fürs legale Kiffen durchzusetzen.“

Jetzt am Freitag war Modemesse im K-Star. Die über 30 buchstäblich „blutjungen Models“ benutzten den langen Tresen als Laufsteg. Alte Reichsbahn-Starkstromscheinwerfer warfen das Licht von unten gleißend gegen die endlos langen Beine der Mädchen. Ob sie standesgemäß vollgekokst waren oder nur so wahnsinnig gute Laune hatten (Zungenküsse mitten im Act, Jubelstürme vom Publikum zur Bühne und zurück), blieb der Fantasie der Zuschauer überlassen.

Aber um die Wahrheit zu sagen: Der Konsum von Haschisch ist offensichtlich, Koks würde hier einfach nicht passen. Dope natürlich nur mit medizinischer Indikation, klar. Der Umgang ist relaxt, freundlich, tolerant. Quirlig wie eh und je tummelte sich Schilgen im eigenen Laden, stahl selbst den Models die Schau: blondierte Haare, alle Zähne aus fettem Gold, abgedunkelte Snoopy-Fliegerbrille, dreifachdicke Schlumpf-Mütze über beide Ohren selbst im überfüllten siedend heißen Dancefloor und selbstgeschneidertes FC-Union-Unterhemd. Daneben liefen noch sechs Schilgen-Klone herum. Es hieß, er sei in der oberen und unteren Etage gleichzeitig gesehen worden, dazu im VIP-Raum neben dem Getränkekeller und auf der Girlie-Toilette.

Doch zurück zum Thema: Es ging um Mode in der Mode, darum, alte Signets und Slogans von Umweltschützern und Friedensbewegten, die längst im Segment der Lächerlichkeit abgesunken sind, zu recyceln. Dabei, so Thomas Lindner – neben der wirklich hochtalentierten Karline Leonie Weiss kreativer Kopf des K-Star-Mode-Labels DRY AUGEN – sei der serielle Gedanke wichtig und der Gedanke der Einzigartigkeit ebenso, vor allem die Schnittmenge aus beidem. Die präsentierte Mode ist weniger durch Verarbeitung von Ballenstoff entstanden – Grundlage sind primär fertige, alte Kleidungsstücke aus anderem Kontext; definitiv weder bürgerlich noch proletarisch, eher jugendlich heiter – teilweise kindlich verspielt, wie es das jüngste Model, eine achtjährige kleine Diva, am Ende demonstrierte. Sie war die einzige, die älter wirken wollte; die anderen schienen dieses Bedürfnis nicht zu haben.

Die Kleidung betont nicht die klassischen Schönheitsideale: keine breiten Schultern und schmalen Hüften für Männer, kaum Betonung der weiblichen Rundungen. Es geht nicht darum, gut auszusehen im Sinne der gängigen Norm. Keine Unterstreichung der physischen und materiellen Stärke. Die Darstellung eines Lebensgefühls trifft es wohl eher. Der K-Star macht Mode mit Philosophie, und die Käufer sind dann auch Philosophen, zumindest Denker. Wenn sie Kaufkraft haben, so sieht man es ihnen jedenfalls nicht an. Spürbar ist ein Wir-Gefühl, nennen wir es ruhig Liebe, kein Konkurrenzkampf. Eine Love Parade der alternativen Mode sozusagen, was da mit viel Spirit und Gekreisch und Küsschen über den Tresen marschierte, gefolgt übrigens vom Literarischen Projekt „Lokalrunde“: West- und vor allem Ostautoren lesen Texte, die nicht älter als 24 Stunden sein dürfen. Thema diesmal: Mode natürlich.

Etwa 150 Kreative mit zahlreichen kleinen Firmenneugründungen bilden das Netzwerk rund um den Hackeschen Markt, und jeden Tag kommt eine neue Idee, ein neues Projekt, eine neue Geldquelle hinzu. So soll es vor dem Club mitten auf der Straße bald einen fliegenden Hard-Drink-Stand geben, für alle, denen es drinnen zu voll ist. Einziges Getränk dabei wird Mai Thai sein. Über einen „Livestream“ im Internet können die Gäste auf der ganzen Welt beobachtet werden. Da ruft dann der Münchener Berlinbesucher seinen Freund an, der gerade in L.A. einen Assistenzjob beim Film macht: „Hey, klick sofort mal den Livestream an, ich sitz grad im Kurvenstar!!“ Und er kann ihm zuwinken. Somit ist der Kurvenstar stets medienpräsent.

„Wir haben auch schon Edmund Stoiber eingeladen“, sagtSchilgen, „für den sind Medien doch wichtig.“ Es ist verbürgt, dass der Leiter des in Berlin ansässigen „Stoiber-Teams“ die Einladung durch Stoiber annehmen lassen will. Nur kennt der die Bedingung des K-Star wohl noch nicht: Anschließend hat der bayerische Ministerpräsident lebenslang Hausverbot.