Stagnation im Schlammwasser

Verrätselt und bombastisch: Pandur inszeniert „Purgatorio“ und „Paradiso“ am Thalia  ■ Von Annette Stiekele

Nach dem Tal der Tränen, dem tosenden Höllenfeuer nun der mühsame Weg der Seele ans Licht des Paradieses. Mit Teil zwei und drei, Purgatorio. Anatomy of Melancholy und Paradiso. Lux, beendete Regisseur Tomaz E. Pandur seine dreiteilige Reise: einmal in die Hölle und zurück mit Dante Alighieris La divina commedia.

Beschwerlich fiel der Weg ans Licht auch für die Premierenzuschauer im Thalia Theater aus. Galt es im Inferno in der vergangenen Spielzeit noch dem klagenden Thomas Schmauser als Dante zuzuschauen, der sich verzweifelt, geleitet von Dietmar König als weisem Dichter Vergil, seinen Weg durch die Hölle bahnte, herrscht nun beinahe Stillstand.

Damals schon arbeitete sich Schmauser durch 32.000 Liter Wasser. Und mit ihm all die geschundenen Seelen aus Italiens Vergangenheit. Nun sind es noch einige Liter mehr, die ihn fast ersaufen lassen. Durch das Fegefeuer gelangt Dante dank Beatrice (Fritzi Haberlandt) in den schwerelosen Zustand der Freiheit von allen irdischen Leidenschaften.

In seinem „Theater der Erinnerung“ schöpft der Regisseur erneut aus einem üppigen Reservoir sakraler Kunst, gemischt mit expressionistischen Textfragmenten. Fröhlich verquirlt er Esoterisches, Christliches und würzt es mit einer Prise östlicher Religion. Angst vor Gefühlen kennt er nicht, und seien sie noch so pathetisch. Seine Schwester und Dramaturgin Livia Pandur extrahiert dazu wenige Sätze aus dem Werk Dantes und verwebt sie mit Texten Francesco de Sanctis und des slowenischen Dichters Milorad Pavic. Gewiss – es sind nach wie vor packende Bilder, die Pandur mit Hilfe seiner Bühnenbildnerin Marina Hellmann und seinen Kostümdesignern Leo Kulas und Svetlana Visintin entwirft. Doch letztlich überwiegt der Eindruck, dass hier ein gigantischer Bombast vorgeführt wird, der Sinnleere verbirgt. Das verrostete Stahlgerüst etwa ist aus Inferno geblieben. Nur ist es jetzt nach oben hin geöffnet. Ein Zeichen der Hoffnung? Und die kahlgeschorenen, weiß gepuderten Engel schinden zwar Eindruck, bleiben aber Statis-ten: Mal treiben sie mit Grabkerzen in der Hand im Wasser, mal stimmen sie kirchliche Gesänge an. Das alles untermalen die volkstümlichen Klängen des bosnischen Komponisten Goran Bregovic.

Spielfreude herrscht auf der Bühne vor allem bei den drei Musikern Fritz Feger, Philipp Haagen und Michael Verhoevec. Bis auf wenige neue Kompositionen geben sie die Originalmusik aus Emir Kusturicas Film Underground wieder, die Assoziationen an den Balkan weckt. Kein Zufall, denn der Regisseur nutzt die Göttliche Komödie auch, um den am eigenen Leib erfahrenen kriegerischen Konflikt zu verarbeiten und ein Zeichen der Hoffnung zu setzen. So fragt Dante anfangs noch verzweifelt: „Wo ist der Weg?“ Je höher er aber steigt, desto lichter wird es. „Im Purgatorium gesundet die Seele“, erklärt ihm Vergil. Die Sünder, repräsentiert durch die sieben Todsünden – Hochmut, Neid, Zorn, Trägheit, Habsucht, Schlemmerei und Wollust – plantschen dabei um ihn herum und nähen sich die Augen zu. Sie wissen keine Antwort. Und wie schon im Inferno lassen sie sich, an den Füßen bandagiert, von der Brüstung fallen. Dazu balanciert Dante einen riesigen Stab in der Hand. Er soll ihm aus dem Feuer hinauf ins Licht helfen. Leider muss er dazu fast eine Stunde im Wasser stehen und verrätselte Sätze hinwerfen: „Meine Augen, warum rennt ihr wie Hunde weg vor meinem Leben?“ Schließlich heißt es: „Wir sind angekommen.“

Nach der Pause steht ein großer Abendmahlstisch im Wasser. Schief davor steht Dante, schaut irr in die Gegend. Das Paradies als Kaffeetafel, in dem Lichtgestalt Beatrice die Tassen füllt. Mann und Frau sind allein mit ihrer eigenartigen, distanzierten Liebe. In einem unverständlichen Surrealismus lässt Pandur Teller und Tassen nacheinander gen Himmel entschweben. Beatrice formuliert dazu kryptische Bekenntnisse: „Ich sitze in meinem Namen wie ein Ruderer im Boot.“ Der Rest in diesem elegischen Bilderrätsel ist Schweigen. Es gilt, eine Stille auszuhalten, die nichts mehr erwarten lässt.

Am Ende landet Dante blutbesudelt und nackt gleich einem Chris-tus auf dem Abendmahlstisch und endet mit der Augustinischen Aufforderung zur Innenschau: „Man muss sich bloß an sich selbst gewöhnen.“ An diese Inszenierung gewöhnt man sich nur schwer.

nächste Vorstellungen: 2. und 3. März 20 Uhr, Thalia