Rollende Augen

State of the Art im deutschsprachigen HipHop? Die Ulmer Kinderzimmer Productions decken am Freitag das Dach der Tanzhalle ab  ■ Von Eberhard Spohd

Selbstbewusst sind die beiden ja. Wir sind da wo oben ist heißt die neue Platte von Kinderzimmer Productions. Und sie haben auch noch recht damit.

Denn diese LP ist ohne jede Frage State of the Art im deutschen HipHop. Wer auf Erneuerung hofft, auf überraschende Samples, auf intelligente Texte und eine charismatische Bühnenshow ohne geplante Effekte ist beim Ulmer Duo aus Henrik von Holtum und Sascha Klammt bestens aufgehoben. Von Holtum alias Textor erzählt die Geschichten und Klammt alias DJ Quasi Modo liefert ihm den musikalischen Untergrund. Dabei ist ihnen die gesamte Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts heilig: Die Samples reichen von Billy Holiday bis zu klassischer Moderne. Es ist schön zu hören, dass sich endlich einmal jemand anschickt, die Avantgarde, die sonst nur in halbleeren Konzertsälen aufgeführt wird, auf ihren Sound hin abzuklopfen.

Ihre Samples erzählen aber auch die Geschichte der beiden Personen. Von Von Holtums Mutter, einer schwedischen Jazzsängerin, und seinem Vater, dem klassisch ausgebildeten Schlagzeuger. Vom Kontrabass-Studium an der Stuttgarter Musikhochschule. Und dass Klammt Elektrotechnik studiert, nimmt man ebenfalls wahr. Genauso, als werkle er mit winzigen Schraubenziehern an kompliziert verdrahteten, wertvollen Gerätschaften herum, klingt die Musik: verschachtelt, fest miteinander verbunden und in der Wirkung einmalig und wunderbar leicht. Dazu diese Storys. Von dem Ich, dessen Körper langsam zerfließt und die ganze Arztpraxis volltropft („Nie wieder gut“). Von der Sprachlosigkeit, wenn man einem Menschen nach Jahren wieder begegnet und sich dennoch nichts zu sagen hat („Merkwürdig/Unangenehm“). Von der Weltdeutung, dem was wahr und dem was gelogen ist, von den Phrasen, dem Gerede und den Gerüchten, von all dem, was dann doch wieder beim eigenen Ich landet: „Wir sind da wo oben ist“. Doch Kinderzimmer Productions stellen nicht nur intellektuelle Zuhörer zufrieden.

Denn ihr musikalischer Bezugspunkt bleibt HipHop. Auf jedem Album bringen sie einen Posse-Track unter, und auf der neuen Platte einen besonders schönen. Mit dem großen Switcheroony röhrt ein Sandkastenfreund mit, und der 17-jährige Tek Beton hört sich an, als hätte zwischenzeitlich jemand die Platte auf 45 Umdrehungen pro Minute hochgepitcht. Das Schönste aber ist der Titel des Stücks: „Deck das Dach ab“ darf sich ruhig zu einem Synonym für einen besonders gelungenen Konzertabend entwickeln. Den bieten Kinderzimmer Productions noch immer. Live werden die beiden unterstützt vom Schlagzeuger Jürgen Schlachter. Er treibt den Rapper Textor immer weiter an, bis der mit rollenden Augen über die Bühne hüpft, auf die Knie sinkt und das Mikrofon aufzuessen scheint.

Im Hintergrund steht DJ Quasi Modo, bucklig wie der gleichnamige Glöckner über seine Plattenspieler gebeugt, bewegt sich nicht und grinst hin und wieder, wenn er seinen verrückten Frontmann ausladende Armbewegungen machen sieht. Nur einmal rückt auch er ins Scheinwerferlicht: Wenn er die Human Beatbox macht beim Stück „Come in my Uno“. Aus ganz alten Zeiten stammend, erzählt diese gern gehörte Zugabe von dem kleinen Fiat der Mutter, mit dem die beiden immer durch die Stadt gefahren sind – und mit dem einfach beim besten Willen kein Mädchen zu beeindru-cken war. Diese Selbstironie macht die Productions wohl so sympathisch. Wie sonst ließen die beiden es zu, dass sie von Switcheroony auf der eigenen Platte gedisst und beschimpft werden? Wie sonst könnte es der DJ ertragen, dass sein Rapper über ihn erklärt: „Ich sage ihm, dass er dumm und häss-lich ist jeden Tag, damit er weiß, dass ich ihn mag.“

Dieses Verhältnis muss wahre Freundschaft sein. Tatsächlich kennen Klammt und von Holtum sich schon aus dem Kinderzimmer, der Schwabe und der Schwede, beide damals „des (Hoch-) Deutschen kaum mächtig“, wie sie bekennen. Diese Zeiten sind inzwischen lange vorbei, Textor jongliert vielmehr mit Sprache und Quasi Modo hat sich vorsichtshalber auf den instrumentalen Part festgelegt. Eines aber ist offensichtlich geblieben: die Freude daran miteinander zu spielen.

 Freitag, 21 Uhr, Tanzhalle St. Pauli, anschließend Tanz mit Turner und DSL