Wem nützt der dumme Rudolf?

Der angeschlagene Verteidigungsminister ist seinem Dienstherrn ein idealer Sündenbock

Rudolf Scharping erweckte immer wieder den Eindruck, die Öffentlichkeit austricksen zu wollen

von BETTINA GAUS

Man kennt das aus der Schule: Wenn der Klassentrottel etwas sagt, dann ist es völlig egal, ob er Recht hat oder nicht. Mitschüler und Lehrer schütteln die Köpfe schon mal vorbeugend. Im Kabinett wird diese Rolle von Rudolf Scharping ausgefüllt – der das wohl niemals für möglich gehalten hätte. Galt er nicht noch in dieser Legislaturperiode als potenzieller Nachfolger des in schwere Wasser geratenen Bundeskanzlers? Verwelkter Lorbeer.

Heute mag kaum jemand widersprechen, wenn der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes den Verteidigungsminister öffentlich als „Witzblattfigur“ bezeichnet. Im Streit über seine Informationspolitik hat Scharping allen Grund, dem mäßig profilierten CDU-Abgeordneten Thomas Kossendey für Schützenhilfe dankbar zu sein. Schließlich hatten sich selbst enge Parteifreunde auffallend lange bedeckt gehalten. Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye wollte sogar „sehr entschieden“ darüber nachdenken, wie die Öffentlichkeit künftig besser informiert werden könne. Anders ausgedrückt: Feuer frei.

Über den Verteidigungsminister darf inzwischen fast alles gesagt werden, ohne dass jemand befürchten muss, ein vorschnelles Urteil könne auf ihn selbst zurückfallen. Wer immer in der Sache Recht hat: Es wird Scharping sein, an dem am Ende etwas hängen bleibt. Wenn man das erkannt hat, kann man ganz tief in die Kiste rhetorischer Empörung greifen. Als „abenteuerlich“ bezeichnete Paul Breuer, verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, die Informationspolitik des Ministers. Die FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper sprach gar von einem „Skandal ohnegleichen“. Damit hat sie Recht. Aber der Skandal besteht in etwas anderem, als die Politikerin vermutet.

Als skandalös kann die Leichtfertigkeit bezeichnet werden, mit der Abgeordnete weitreichende Entscheidungen treffen – offenkundig ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein. Zur Erinnerung: Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte öffentlich mitgeteilt, dass sich die USA im Rahmen ihrer Militäraktionen gegen den internationalen Terrorismus von den Deutschen unter anderem „Spezialkräfte mit bis zu 100 Soldaten“ gewünscht hatten. Darauf genehmigte der Bundestag am 16. November letzten Jahres den Einsatz von bis zu 3.900 Bundeswehrsoldaten, darunter ausdrücklich auch die Entsendung von 100 Elitesoldaten. Und jetzt sind die Parlamentarier fassungslos, dass diese Truppe tatsächlich nach Afghanistan geschickt worden ist? Obwohl laut US-Angaben insgesamt 25 Nationen an dem Einsatz beteiligt sind? Guten Morgen.

Es wäre von Rudolf Scharping gewiss politisch klug gewesen, nicht nur den Verteidigungsausschuss, sondern auch die Öffentlichkeit über den Einsatz zu informieren. Diese Mitteilung hätte die Sicherheit der Soldaten nicht gefährdet. Potenziellen Terroristen dürfte es ziemlich gleichgültig sein, ob sie von Kanadiern oder von Deutschen gejagt werden, und die Tatsache, dass sie gejagt werden, ist ihnen bestimmt nicht verborgen geblieben. Der Minister hat also – wieder einmal – nicht gewusst, wann er reden und wann er schweigen sollte. Das ist jedoch kein Skandal, sondern eine lässliche Sünde. Warum wurde sie begangen? Wieso steht wieder einmal Scharping im Kreuzfeuer der Kritik? Und wem nutzt ein angeschlagener Verteidigungsminister, der den Doofen gibt?

Zu Beginn ihrer Amtszeit hat diese Regierung die Erfahrung machen müssen, dass nichts geheim bleibt und alle ergebnisoffenen Überlegungen den Weg in die Öffentlichkeit finden. Daraus hat sie schnell – falsche – Konsequenzen gezogen. Sie hätte thematisieren können, welche Mechanismen der Parlamentsberichterstattung sich in den sechzehn Jahren der Kohl-Regierung eingebürgert hatten, und einen anderen Weg der Meinungsbildung offensiv vertreten können. Stattdessen hat sie sich weggeduckt. Auch Minister wie Otto Schily und Walter Riester begründen unnötige Schweigsamkeit derzeit gerne mit angeblich übergeordneten nationalen Interessen. Das ist schließlich allemal bequemer als die öffentliche Erörterung ihrer Pläne.

Wenn sich eine solche Form der Informationspolitik erst einmal durchgesetzt hat, steht ein Verteidigungminister vor einem besonderen Problem. Sagt er zu viel, dann gefährdet er die nationale Sicherheit – sagt er nichts, gefährdet er die Demokratie. Rudolf Scharping scheint von seiner Persönlichkeitsstruktur her besonders ungeeignet zu sein, dieses Problem zu lösen. Er hat in den letzten Jahren kaum einen Fehler vermieden. Immer wieder erweckte er den Eindruck, die Öffentlichkeit austricksen zu wollen.

Beispiel Bundeswehretat: Veräußerungsgewinne aus Liegenschaften der Bundeswehr würden rund eine halbe Milliarde Euro erbringen, so behauptete Scharping lange unbeirrt. Inzwischen steht fest, dass die eigens dafür gegründete Gesellschaft überhaupt nichts verkauft hat. Beispiel Transportflugzeug: Die Mehrheit der Opposition hält den Ankauf von 73 Maschinen des Typs A 400 M für richtig. Es ist nachvollziehbar, dass der Verteidigungsminister im Zuge laufender Verhandlungen den maximalen Endpreis nicht öffentlich zu nennen bereit war. Was aber sprach gegen die offenkundige Lösung, die Preisdifferenz nach Abschluss der Verhandlungen in einen Nachtragshaushalt einzubringen? Nun, vor allem der Wunsch von Gerhard Schröder, einen solchen Nachtragshaushalt zu verhindern.

Womit der Kern des Problems von Rudolf Scharping benannt wäre. Er liegt in der Person des Bundeskanzlers. Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht ist ein schwacher Verteidigungsminister für Gerhard Schröder nicht nur schädlich. Er nutzt ihm auch. Mit der Erhöhung des Wehretats lassen sich keine Wahlen gewinnen, mit fehlendem Weitblick auf dieses Thema aber durchaus ein paar Stimmen verlieren. Solange Schröder hier jeden Fehler auf seinen Minister abwälzen und jeden Erfolg für sich selbst verbuchen kann, ist er fein raus. Pech für Scharping.