Land unter in Langwedel

■ Damit die Bremer trockene Füße behalten, wird zwischen Achim und Verden geflutet. Vier Dörfer sind dann nur noch per Boot erreichbar / Weitere Regenfälle drohen

Wenn Krimhilde Stührmann aus dem Fenster ihres Bauernhauses in Grinden schaut, sieht sie zurzeit vor allem eines: Wasser. „Wenn das weiter steigt, gucken bald nur noch die Häuser raus“, fürchtet sie. Noch sind die Langwedeler Ortsteile Hagen, Grinden und Alt-Cluvenhagen und der Verdener Stadtteil Eissel über die Straße zu erreichen. Doch Horst Jündgen, Chefbauingenieur von Langwedel, warnt: „Das kann sich stündlich ändern.“ Wettervorhersage für heute: weitere heftige Niederschläge.

Schon der Regen der vergangenen Tage hat die Weser zwischen Verden und Achim stark ansteigen lassen. Derzeit staut sich noch das Wasser in den Gräben – Äcker, Gärten und Wiesen laufen währenddessen voll. Die Straße zwischen Intschede und Langwedel einschließlich der Brücke über die Weser ist seit drei Tagen unpassierbar. Steigen die Pegel weiter an, treten die Überlaufrinnen in den Deichen in Funktion: das Wasser schwappt über, läuft hinter den Damm. Dann säuft die ganze Region ab, damit Bremen verschont bleibt.

„Wir fangen das Wasser auf, das sonst stromabwärts für Überschwemmungen sorgen würde“, erklärt der Langwedeler Bauingenieur Jündgen. Überschwemmungsgebiet war die Gegend zwischen Achim und Verden schon immer. Inzwischen ist die wenig dicht besiedelte Zone sogar offiziell als Hochwasser-Auffangbecken deklariert. Vier Dörfer mit 130 Einwohnern liegen innerhalb des bedrohten „Polders“, eine Handvoll Bauernhöfe betreibt hier Vieh- und Ackerbau. Zum Schutz vor den Wassermassen sind die Häuser immerhin auf kleinen Hügeln gebaut.

Trotz aller Vorhersagen wurden die BewohnerInnen in der Vergangenheit immer wieder von den Fluten überrascht: Als sie morgens aufwachten, stand alles unter Wasser, das Haus war nur noch per Boot erreichbar. Etwa alle drei Jahre passiert das. „Man kommt sich dann vor wie auf einer Insel“, klagt Krimhilde Stührmann.

Beunruhigt ist die Bauersfrau deswegen nicht. Noch nicht. Die 120 Rinder kommen einfach in den trockenen Stall, die schulpflichtigen Kinder ziehen für ein paar Tage zu den Großeltern ins hochwassersichere Etelsen, „ Wir bleiben einfach zuhause“, sagt Stührmann.

Auch andere DorfbewohnerInnen, die zur Arbeit müssen, suchen derzeit anderswo Unterschlupf. Pro Ortsteil ist ein Motorboot für dringende Versorgungs- und Krankenfahrten im Einsatz. „Dann gehen wir halt zusammen einkaufen“, meint Stührmann. In der Not hält das Dorf zusammen: „Die Solidarität unter den Dorfbewohnern ist sehr groß.“

Kritisch wird es für die Bauern erst, wenn das Wasser länger als fünf Tage auf den Feldern steht. Dort ist zum Teil schon Wintergetreide gesät. „Wenn wir Pech haben, müssen wir alles neu pflügen“, fürchtet Stührmann.

Kommt zudem der Milchwagen nicht mehr durchs Wasser, muss auch die Milch weggeschüttet werden. Entschädigung bekommen die Landwirte nicht. „Ackerbau im Überschwemmungsgebiet ist eigenes Risiko“, ist aus der Kreisverwaltung zu hören.

Regnet es – wie befürchtet – weiter, müssen sogar die Brücken zwischen Blender und Verden sowie zwischen Achim und Thedinghausen gesperrt werden. Wer dann noch über die Weser will, muss bis Arsten. Mehr noch als lange Wege, verlorene Ernten und durchnässtes Viehfutter fürchtet Stührmann jedoch die Katastrophen-Schaulustigen. Die Flut lockt Gaffer. „Diese Sensationshungrigen scheuchen das Wild auf“, klagt sie. Die Tiere, die bei so viel Wasser sowieso kaum noch trockene Plätze fänden, würden dann ertrinken. „Das ist erst mal unser größtes Problem.“

Gestern registrierte der Hochwasser-Meldedienst in Hannover gleichbleibende Pegelstände an der Weser, ging aber noch von einer weiteren Flutwelle aus. Die Talsperren im Harz seien sehr voll und könnten kaum noch Niederschläge aufnehmen, sagte ein Sprecher. Bau-Ingenieur Jündgen aus Langwedel schätzt: „Das steht gerade so auf der Kippe“, Bäuerin Stührmann hofft.

hoi