Der riesige Späher im Weltraum

Der Umweltsatellit Envisat soll auf gefährlichem Kurs einzigartige Daten über die Erde liefern

Supergenau, superteuer und supergefährlich: so lässt sich die neueste Mission der europäischen Raumfahrtagentur ESA zusammenfassen. In der Nacht von gestern auf heute sollte im südamerikanischen Kourou eine Ariane-Rakete starten mit dem Satelliten Envisat an Bord. Envisat ist ein wissenschaftliches Monster, ein Überbleibsel aus der Zeit der großen Planungen in der Raumfahrt. Seit 1988 wird an ihm geplant und gebaut, 750 Forscherteams mit insgesamt 10.000 Wissenschaftlern zittern heute Nacht, ob der Start gut läuft oder ob ihre Karrieren vor einem Rückschlag stehen.

Die Angst gilt der Trägerrakete Ariane 5. Sie ist die neueste Errungenschaft der Europäer und soll die EU-Vormachtstellung im Satellitengeschäft sichern. Die neue Ariane 5 kann höhere Lasten als die meisten anderen Raketen tragen, und das ist bei Envisat auch nötig – der Satellit wiegt 8.200 Kilogramm, ist sieben mal zehn Meter groß, mit ausgefahrenen Sonnensegeln sogar 25 Meter lang. Doch die neue zweistufige Rakete hatte bei ihren bisher zehn Versuchen drei Fehlstarts. Alle Fehler sind jedoch angeblich gefunden und behoben. Was trotzdem an den Nerven der Forscher zerrt: Wenn die Ariane nicht richtig funktioniert, wird es für Envisat keine zweite Chance geben.

Denn Bau und Entwicklung kosteten nicht nur viel Zeit, sondern knapp 1,9 Milliarden Euro, der Start kostet 140 Millionen, und die Auswertung der aberwitzigen Menge von Umweltdaten, die der Satellit zu Boden senden soll, wird über die nächsten fünf Jahre weitere 300 Millionen Euro verschlingen. Diese insgesamt 2,3 Milliarden Euro sollen nach dem Willen der beteiligten 14 Länder eine einmalige Angelegenheit bleiben.

Weshalb überhaupt das hohe Risiko, alles auf eine Karte zu setzen? Weil so zehn ausgeklügelte Instrumente auf einen Schlag ins All geschossen werden können – was billiger ist und allerhand Synergieeffekte erzielt. So können sich manche Messapparate gegenseitig eichen und genauer messen. Die Oberfläche der Erde soll zum Beispiel erstmals auf einige Millimeter genau in der Höhe vermessen werden. Damit lassen sich sogar Erdbeben beobachten. Oder ob sich die Nordseeküste senkt oder hebt.

Drei Instrumente werden in einmaliger Genauigkeit die Atmosphäre vermessen – Treibhausgase, Industrieschornsteine oder das Ozonloch, Wolken, Waldbrände und Vulkanausbrüche. Erstmals wird auch die Temperatur genau und fortlaufend bestimmt. Kartografiert wird auch das Meer, und zwar nicht nur Tiefe und Wellen, sondern mit einem Spektrometer namens Meris auch die Farbe – was wiederum Rückschlüsse auf die Zahl der Algen und anderer Kleinlebewesen der See und der Strände zulässt.

Envisat kreist anders als die meisten anderen Satelliten nicht parallel zum Äquator, sondern alle 100 Minuten von Pol zu Pol. Daher kann aus der Orbithöhe von 800 Kilometern die ganze Erde vermessen werden. Der Nachteil: Auf diesem Kurs und dieser Höhe ist eine Reparatur nicht möglich, weil der Forschungsriese ständig den stark strahlenden so genannten Van-Allen-Gürtel der Erde kreuzt. Jeder Raumfahrer würde dort eine tödliche Dosis Strahlung abbekommen. Pessimisten fürchten daher, dass vor allem die Komponente „supergefährlich“ bei dieser Supermission bestimmend sein wird. REINER METZGER