Freche Früchtchen im Alten Land bei Hamburg

Im Alten Land versprühen Bauern fröhlich verbotene Pestizide – und nun soll alles nicht so schlimm sein. Wie ein kleiner Skandal immer größer wird

BERLIN taz ■ Albrecht Klein ist aufgebracht. „Es ist ein Skandal“, schimpft der Leiter der Pflanzenschutzbewertung des Umweltbundesamts (UBA). „Und der noch größere Skandal ist, dass es vor Ort so relativiert wird.“ Klein spricht vom illegalen Einsatz von Pestiziden im Alten Land, einem berühmten Obstanbaugebiet an der Elbe bei Hamburg. Vor einer Woche hatte die taz diesen vom UBA untersuchten Pestizidskandal publik gemacht.

Doch statt das Problem anzugehen, gehen die Verantwortlich lieber gegen das UBA vor: So sprach der Leiter des Obstbauzentrums in Jork, Karl-Heinz Tiemann, von „ungeheuerlichen“ Vorwürfen: „Wir halten uns an die Gesetze.“ Und der niedersächsische Agrarminister Hans-Dieter Rosinke sekundierte: „Man darf hier nicht pauschal urteilen. Es gibt einige schwarze Schafe.“

So eingestellt rief die Lokalpresse, das Stader Tageblatt, noch einmal bei Klein im UBA an und zitierte ihn mit: „Wir können nicht behaupten, dass im Alten Land massiv und flächendeckend illegal Pflanzenschutzmittel und Herbizide zum Einsatz kommen.“ Und titelte: „Berlin tritt Rückzug an“.

Doch das Zitat war „total aus dem Zusammenhang gerissen“, wie Klein nun der taz versicherte. Doch die Nachrichtenagentur dpa griff das Tageblatt-Zitat auf. Tenor: „Umweltbundesamt nimmt Vorwurf gegen Obstbauern teilweise zurück“. Der Agentur vertraute wiederum die taz – und druckte die Meldung nach. Tatsächlich, sagte Klein gestern der taz, habe er versucht, den Journalisten nur den Unterschied zwischen definitiven Beweisen und naheliegenden Schlüssen zu erklären.

Unumstritten ist nämlich: Das Pflanzenschutzamt Hannover forderte 2001 von 99 der rund 800 Obstbauern im Alten Land zur Kontrolle ihr „Spritz- und Sprühtagebuch“ an. Darin muss der Einsatz von Pestiziden aufgezeichnet werden. 6 Betriebe hatten Pleite gemacht. Von den verbliebenen 93 hatten 3 einfach kein Buch geführt, 2 weigerten sich es herauszurücken, 21 Betriebe meldeten sich schlicht nicht zurück. Von den 67, die ihr Buch vorzeigten, hatten 38 verbotene Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Natürlich kann man die Zahlen nicht einfach auf die 800 Obstbauern hochrechnen, sagte Klein, „aber es lässt doch Vermutungen zu“. Die UBA-Leitung stellte deshalb gestern noch einmal klar, dass „von Zurückrudern keine Rede“ sein könne: Im Alten Land werde „systematisch gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen“. M. URBACH