Prag hofft weiter auf den Kanzler

Schröder hat die Reise nach Tschechien abgesagt. Grund: Die neu aufgeflammte Debatte um die Beneš-Dekrete. Im Gespräch ist ein Ersatztermin in Barcelona noch vor den tschechischen Wahlen – damit Schröder doch noch Wahlkampfhilfe leisten kann

von ULRIKE WINKELMANN
und ULRIKE BRAUN

Kanzler Gerhard Schröder (SPD) wird nicht am 22. März nach Prag reisen. Beide Seiten hätten sich darauf verständigt, die Reise zu verschieben, teilte ein Regierungssprecher gestern mit. Der Grund für die Entscheidung liegt in der Debatte um die Bewertung der sogenannten Beneš-Dekrete. Schröder wolle nicht in diese Auseinandersetzung hineingezogen werden, hieß es gestern.

Der tschechische Oppositionsführer Václav Klaus hatte vergangene Woche vorgeschlagen, diese Erlasse, die die Enteignung der Sudetendeutschen und Ungarn aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg legitimierten, in den Vertrag zum EU-Beitritt Tschechiens aufzunehmen. Die Regierung von Ministerpräsident Milos Zeman lehnt diesen Vorschlag allerdings ab. Die Dekrete spiegelten den Zeitgeist nach dem Krieg wider und basierten nicht auf einer Kollektivschuldthese, erklärte Zeman gestern. Außerdem sei „das Wecken von Geistern der Vergangenheit ein Zeichen politicher Impotenz.“

Die jetzige Entscheidung, die Reise erst einmal abzusagen, löse die deutsch-tschechischen Probleme nicht, gab der vertriebenenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hartmut Koschyk (CSU), gestern zu bedenken. Die Bundesregierung dürfe „den Kopf nicht weiter einfach in den Sand stecken“, sondern müsse „vielmehr in einen konstruktiven Dialog mit der tschechischen Seite treten, der schwierige Themen nicht ausklammert und versucht, im Vorfeld des EU-Beitritts dauerhafte Stolpersteine in den deutsch-tschechischen Beziehungen auszuräumen“. Nach Angaben des Unions-Außenpolitikers Friedbert Pflügers wird sich demnächst der Europa-Ausschuss des Bundestags mit den Beneš-Dekreten befassen.

Mit seinen Formulierungen spielte Koschyk auch auf Äußerungen Zemans an, die noch vor der Idee Klaus’ für Aufregung gesorgt hatten: Zeman hatte die Sudetendeutschen als „fünfte Kolonne Hitlers“ bezeichnet und ihre Vertreibung als „milde Strafe“. Nachdem jedoch Außenminister Joschka Fischer vergangene Woche nach Prag gereist war, wurde das bilaterale Verhältnis wieder als ungetrübt bezeichnet.

Fühlte sich die tschechische Regierung nach Fischers Besuch noch in ihrem Glauben bekräftigt, dass Schröder auf jeden Fallkomme, ist sie jetzt doch etwas enttäuscht. Der Senatsvorsitzende Petr Pithart gab sich gestern bedächtig: Ein Teil der tschechischen politischen Vertreter müsse sich erst selbst klar werden über seine Haltung zu Fragen der Vergangenheit, sagte Pithart zu Schröders Absage. Sein Fazit: „Die tschechisch-deutschen Beziehungen sind heute so heiter, dass es sogar in unserem Interesse ist, den Besuch des Kanzlers zu verschieben.“

In Prag hofft man, dass es trotz allem zu einem Tête-à-tête vor den tschechischen Wahlen Mitte Juni kommt: Mit ein paar wohlwollenden Erklärungen Schröders zur Verbesserung wirtschaftlicher Beziehungen und so weiter möchte man gerne Wahlkampf machen.

Im Gespräch ist ein Treffen der beiden sozialdemokratischen Regierungschefs im deutsch-tschechischen Grenzgebiet oder einem dritten Land, etwa am Rande des EU-Gipfels am 15. März in Barcelona. Bestätigt wurde dies von deutscher Seite bislang allerdings nicht.

Vielleicht kommt der Kanzler ja nach den Wahlen, titelte die regierungsnahe Tageszeitung Pravo. Dann, so die Logik, müsste Schröder sich nicht mehr mit seinem etwas undiplomatischen Amtskollegen Zeman treffen, der schon lange seinen freiwilligen Rückzug aus der Politik angekündigt hat.