A Touch Of Leberwurst

Mit seinen Figuren zwischen Hallodritum und Clownerie, zwischen früher Spaßguerilla und später ostentativer Demut wurde Heinz Rühmann zum Lieblingsschauspieler der Deutschen. Am kommenden Donnerstag wäre er hundert geworden

von REINHARD KRAUSE

Das Herz, das Herz! Wer Pressestimmen und Kollegenlob über Heinz Rühmann durchforstet, landet unweigerlich bei Elogen auf dessen Fähigkeit, sein Publikum dort zu packen, wo es am sensibelsten reagiert. Hans-Joachim Kulenkampff etwa, Showmaster und Gelegenheitsmime, sagte über ihn: „Man hat auch viel mit den Herzmuskeln gelacht und nicht nur mit den Lachmuskeln. Heinz Rühmann – das ist jenseits der Neidgrenze.“ Der allseits Gelobte selbst erklärte seinen überwältigenden Erfolg in einem TV-Interview der Sechzigerjahre unter betonter Vermeidung der ersten Person Singular: „Humor ist einem in die Wiege gelegt worden, Humor ist Gemüt, und Gemüt ist Herz, kommt von innen heraus, bereichert einen und die anderen.“

Ja, Rühmann kriegt sie alle, ob jung, ob alt. Er bricht wirklich – wie er einst mit Strohhut und spitzbübischer Selbstironie sang – die Herzen der stolzesten Frau’n. Und der Männer natürlich auch. Allerdings nicht, weil er so stürmisch und so leidenschaftlich gewesen wäre, eher schon, weil es ihm gelang, eine Art Fraternisierungsinstinkt im Zuschauer zu wecken. Rühmann war so schön klein und jungenhaft keck, so drollig. Und später, im Alter, so weise und still und von einer immer wieder aufwallenden Aura abgründiger Traurigkeit umweht. Herzilein, du darfst nicht traurig sein! Ach, Rühmann …

Da klang es wie Leichenfledderei, als der Schauspieler Joachim Król vor ein paar Jahren in einem Tagesspiegel-Interview frank und frei bekannte: „Ich fand den Rühmann schon als Kind nicht sympathisch. Rühmann steht für eine andere Epoche, für Tugenden und Qualitäten, die nicht mehr gelten. Aber entscheidend ist das Gefühl von Kälte, und das ist bei Rühmann bestimmend.“ Wie? Rühmann kalt? Der große Herzenbeweger? Welch schäbiger Anwurf von einem Nachwuchsstar! Noch dazu einem, der auserkoren war, in die Fußstapfen des großen Alten zu treten und eine seiner Paraderollen nachzuspielen, den Kommissar Matthäi in Dürrenmatts „Es geschah am hellichten Tag“.

Und doch: Hat Król nicht Recht? Sind nicht tatsächlich die Rollen, mit denen Heinz Rühmann seinen Ruf als Charakterschauspieler prägte, Figuren von solch eisiger Strenge gegen sich und die Welt, dass einen fröstelt? Der Eiserne Gustav, der Hauptmann von Köpenick: zwei, die sich von ihrer Zeit auf den Kehricht der Geschichte geworfen sehen und aus dieser narzisstischen Kränkung heraus noch einmal zu einsamer Hochform auflaufen. Pater Brown: ein aufmüpfiger Detektiv im Priestergewand, der für jede seiner Eigenmächtigkeiten stets aufs Neue von seinem Bischof abgestraft wird und der alle Versetzungen gespielt stoisch auf sich nimmt und stets durchblicken lässt, dass er sich der Macht beugt, beugen muss, nicht aber dem Argument. In seinen Filmen hat Rühmann eigentlich immer Recht. Besonders wenn er kein Recht bekommt. Ist das das Geheimnis seines enormen Erfolgs?

Wenn man es genau besieht, eignet auch den frühen Rollen – vom Freund, dem guten Freund in „Die Drei von der Tankstelle“ bis hin zum Pfeiffer mit drei f aus der „Feuerzangenbowle“ – neben allem Klamauk und aller Verschmitztheit eine hartnäckige, fast unausweichliche Schroffheit des Tons, ein mutwilliges Maulheldentum, das die darunter liegende Unsicherheit nur mühsam kaschiert. Überhaupt, der berühmte Rühmann-Touch! Das Wegnuscheln und Beiseitesprechen seiner Texte, die hochfahrende Art, die Stimme plötzlich sehr laut und gleichzeitig sehr undeutlich werden zu lassen. Ein typischer Rühmann-Satz aus seinen frühen Jahren: „Ichverbiddemirdas, Sie?!“

Unsauberes Sprechen hatte im noch jungen deutschen Tonfilm bei männlichen Schauspielern eine ausgesprochene Konjunktur – und schuf je unterschiedliche Rollenerwartungen. Theo Lingens Näseln und Säuseln bezeugte angelernte Vornehmheit, schuf soziale Distanz und machte ihn zum idealen Darsteller von Lakaien und anderen Subalternen. Hans Mosers unentwegtes Nuscheln konvenierte mit der Wirrnis seiner meist cholerischen Figuren. Er gab stets das kleinbürgerliche Wiener Original, das gegen die diversen alltäglichen Zumutungen des Lebens anrennt, in dessen Granteln sich jedoch eher ein autodestruktiver Zug verbirgt.

Moser mosert volkstümlich in der stillen Kammer, der kleine Rühmann dagegen begegnet seinen Kontrahenten qua Lautstärke auf Augenhöhe. Durch das gleichzeitige Vernuscheln jedoch wird die jähe Auflehnung sogleich wieder reduziert. Es nimmt vorweg, was der Zuschauer schon weiß oder doch ahnt: dass Rühmanns Autorität aus seinem höchst individuellen Gespür für Gerechtigkeit erwächst, nicht aber seinem sozialen Status entspricht – mag er nun mit einem Vorgesetzten hadern oder mit seiner jungen Verlobten.

Die Fama, wie es überhaupt zum unverwechselbaren Rühmann-Stil kam, verrät viel über die Charakteristik seiner Figuren. In jungen Jahren am Theater, gestand er später, bedeutete es für ihn einen „gewaltigen Schrecken“, dass er mit seinen 1,65 Metern für die Rolle des jugendlichen Helden und Liebhabers kaum je in Frage kam. Auch dies gehört zur Spezifik der Rühmann’schen Figuren: In der Eheanbahnung sind sie von einigem Reiz (vor allem weil sie sich meist selbst im Wege stehen), eine ausgewachsene Ehekomödie ist mit Rühmann jedoch kaum vorstellbar. Die Frau an seiner Seite muss sich in sein schnurriges Burschitum schicken, ihn verbrauchen, wie er nun einmal ist. Viel Innigkeit und Austausch stehen bei so einem nicht zu erwarten.

Komiker wurde Rühmann also eher aus Not und weil er Talent dazu besaß, nicht aus ursprünglicher innerer Neigung. Zum Schreck gesellte sich das Gefühl der Demütigung: Als er 1922 am Residenztheater in Hannover in einem Stück eine winzige Rolle übernehmen sollte, die er für unter seiner Würde hielt, lief er aus Widerstand zu voller Stärke auf. „Ich war beleidigt“, schreibt er in seinen Memoiren, „strengte mich nicht an und klebte mir außerdem noch einen fürchterlichen Schnurrbart ins Jungengesicht, damit man mich nicht erkennen sollte – so ein Unsinn, mein Name stand doch im Programm! –, und meine Antworten an den Richter waren lust- und teilnahmslos heruntergebrabbelt.“ Das Publikum jedoch war begeistert von der Chuzpe des unwilligen Nebendarstellers. Es gab Szenenapplaus.

Der Rühmann-Ton war geboren, und an seiner Wiege stand das Gefühl der Zurückweisung, der Kränkung, der Ohnmacht – und des Aufbegehrens. In der Eröffnungsszene des Spielfilms „So ein Flegel“ aus dem Jahr 1934 wird der Zuschauer Zeuge, wie Rühmann sich gewissermaßen selbst erfindet. Da spielt er den Bühnenautor Dr. Hans Pfeiffer, der einem unbegabten Schauspieler beibringt, wie er einen rebellischen Schüler zu spielen habe. „Die Sache ist doch so, nicht wahr: Der Lehrer hat den Schüler doch herausgefordert, nicht wahr? Verstehn Sie das, ja? Also, der Schüler setzt sich trotziger, bockiger, nicht? Mürrischer!“ Knallt das Textbuch auf den Tisch, setzt sich, pfeift aufreizend vor sich hin und spielt nervös mit seinen Bleistiften. Bockig, trotzig, mürrisch – Rühmann ist in seinem Element.

Diese jederzeit mögliche Renitenz gibt den Rühmann-Filmen der Dreißigerjahre eine moderne Grundierung, insbesondere wenn sie – wie in diesem Fall – in der autoritätshörigen Gründerzeit spielen. Vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus wirkt Rühmanns gebremstes Rebellentum doppelgesichtig: Die Honoratiorengesellschaft und das überkommene Standesbewusstsein der Kaiserzeit wurden im Dritten Reich nicht wiederbelebt, der nationalsozialistische Staat gab sich den Anstrich einer Gesellschaft, in der jeder nach seiner Funktion seinen Platz finden konnte. Zugleich schlummert im Rühmann-Touch ein gewisses Protestpotenzial gegen die Disziplinierungsbestrebungen der Nazis.

Hätte Joseph Goebbels als Reichspropagandaminister und oberster Filmherr des Dritten Reichs nicht Wert darauf gelegt, dass im Film ein ziviles Deutschland gezeigt wird, in dem nach Möglichkeit weder Hoheitszeichen des Nazistaats noch der „deutsche Gruß“ gezeigt werden sollen, hätte es für den Filmkomiker Rühmann zwischen 1933 und 1945 vermutlich weniger als seine 42 Hauptrollen gegeben. Als 1941 im Rühmann-Film „Der Gasmann“ mit diesem ungeschriebenen Gesetz gebrochen wurde, als also ein Büro für „Ariernachweise“ und Gestapobeamte auf der Leinwand erschienen, kam es prompt zu Schwierigkeiten mit der Zensur, wie Franz Josef Görtz und Hans Sarkowicz in ihrer Heinz-Rühmann-Biografie schildern.

Rühmanns Auftritt als Gasmann, der von einem zwielichtigen Reisegefährten zehntausend Reichsmark für seinen Anzug erhält und in der Folge in ein Geflecht aus Angst und Nachstellung gerät, wirkte vor allem auf die Teile des Publikums erheiternd, so die NSDAP-Gauleitung Sachsen in einem Protestbrief, „die von der Partei am wenigsten wissen wollen“. In einer seiner geradezu dialektischen Anwandlungen in Bezug auf den latenten Unmut in der Bevölkerung gab Joseph Goebbels den Film frei – gerade wegen seiner Ventilfunktion.

Selbst „Die Feuerzangenbowle“, das 1943 entstandene Remake von „So ein Flegel“ mit einem mittlerweile 41-jährigen Heinz Rühmann in der Rolle des Pennälers Pfeiffer, galt in der Endphase des Zweiten Weltkriegs zunächst als gefährlich. Lehrer sollten nicht als Witzfiguren gezeigt werden. Erst das Argument, Heiterkeit stärke die Wehrkraft, – und Rühmanns Fahrt zur Wolfsschanze, ins Führerhauptquartier – brachten dem Film die Aufführerlaubnis.

Nach dem Krieg zeigte sich ein gewandelter Rühmann. Dass es überhaupt einen Bruch gibt, es zwei Rühmänner gibt, ist für Fernsehzuschauer nach vierzig Jahren rühmännischer Dauerbestrahlung schwer vorstellbar. War er je „weg von Fenster“? Ja und nein! Schuld hieran waren jedoch nicht so sehr, wie Rühmann es selbst dargestellt hat, seine ungerechtfertigten Schwierigkeiten mit den Entnazifizierungsbehörden, es war vielmehr das komplette finanzielle Debakel seiner 1947 gegründeten Filmproduktionsfirma. Eine tiefe Kränkung seines Selbstwertgefühls dürfte beides gewesen sein.

Rühmanns endgültige Freistellung zog sich tatsächlich hin. Zwar war er nie in eindeutigen Propagandafilmen aufgetreten, ein (gestellter) „Wochenschau“-Ausschnitt jedoch, der ihn als Kurierflieger der Luftwaffe zeigte, sorgte für nachhaltige Querelen. Auch dass sich Rühmann zehn Tage nach der Reichspogromnacht 1938 von seiner jüdischen Ehefrau Maria hatte scheiden lassen, brachte ihn nach Kriegsende verständlicherweise in Erklärungsnot. Auf einen Wink Hermann Görings hatte Rühmanns Exfrau 1939 pro forma einen Schweden geheiratet. Sie zog 1943 nach Schweden.

Heinz Rühmann ehelichte ebenfalls 1939 die Schauspielerin Hertha Feiler – eine Österreicherin, die wiederum einen jüdischen Großvater hatte. Aus der familiären Gefährdung kam Rühmann durch seine Wiederheirat also nicht heraus. Er blieb auf Goebbels’ Schutz und Wohlwollen angewiesen.

Gemessen an den Schwierigkeiten anderer ehemaliger Ufa-Stars konnte Rühmann nach dem Krieg relativ nahtlos an alte Erfolge anknüpfen. Eine Zarah Leander etwa, die – ebenfalls häufig in den Kulissen der Gründerzeit – in Ufa-Produktionen die leidenschaftliche und bisweilen leichtlebig erscheinende Femme fatale gegeben hatte und vor den Bombenteppichen des Weltkriegs zurück nach Schweden geflüchtet war, konnte sich nie ganz vom Ruch der Naziikone lösen. Dem sonnigen Rühmann wurde der propagandistische Einsatz an der Unterhaltungsfront wesentlich leichter verziehen.

Auch wenn der es ganz anders sah. „Heute kann ich es verraten“, schrieb er in seinen 1982 erschienenen Memoiren. „Das ständige Dementieren und Berichtigen von falschen Behauptungen über mich hatte in den ersten Jahren nach dem Krieg derartig von meinem ganzen Denken Besitz ergriffen, dass ich mich mit dem Gedanken trug, einen Film mit dem Titel ‚Das Gerücht‘ zu drehen, in dem ein Mensch von Verleumdungen verfolgt wird, die wachsen und wachsen, sich lawinenartig ausbreiten, die Wahrheit immer mehr verdrängen, bis der Gejagte zum Strick greift. Ich hab es bei dem Gedanken belassen.“

Heimgezahlt hat er es dem Publikum aber doch. Dem Publikum, dem die von ihm produzierten Filme in den beginnenden Fünfzigerjahren nicht so recht gefallen wollten. Im „Hauptmann von Köpenick“, 1956 unter der Regie von Helmut Käutner entstanden, fand er zu seinem Altersstil, der von einer gewissen Mutwilligkeit gekennzeichnet ist. In seinen eigenen Worten: „Als junger Mensch störte mich die vordergründige Heiterkeit nicht. Die Hauptsache war, die Leute amüsierten sich. Heute bin ich glücklich, wenn sie mitten aus dem Lachen heraus ganz still werden.“

Das Verblüffendste an dieser Wandlung vom unerschütterlichen Filmschelm zur sentimentalen Lachbremse: Es funktionierte! Das Kinopublikum, das ihn jahrzehntelang auf den drolligen Kleinen festgelegt hatte und sich bei „Charleys Tante“ die Schenkel wund klopfte, adoptierte auch den reifen, gelegentlich allzu reifen Charakterdarsteller. Die Deutschen, die sich so lange an seiner Keckheit ergötzt hatten, entdeckten ihr Faible für die unterschwellige Trauer, das trotzige Jetzt-erst-recht. Heinz Rühmann zeigte ihnen Menschen, die reinen Herzens waren – auch wenn es durch zu starke Beanspruchung in einen steinartigen Aggregatzustand übergetreten war. Waren sie nicht genau wie er: unschuldig verdammt, verkannt?

Nicht Verstrickung und tragische Schuld kennzeichnen diese Figuren, sondern ihr Ausgeliefertsein an ein äußerliches Schicksal. Gewiss, sie starren gebannt in den Abgrund, doch dort sehen sie nur sich selbst. Rühmanns so ostentativ „stille“ Gestalten präsentieren ihr waidwundes Gekränktsein und ihren ungebrochenen Stolz wie eine heimliche Auszeichnung.

Offensichtlich gab es einen Bedarf an solchen (Anti-)Helden. Gut möglich, dass die Unfähigkeit, zu trauern, die Margarete und Alexander Mitscherlich nach dem Krieg den Deutschen attestierten, und Joachim Króls instinktive Ablehnung der Rühmann’schen Kälte Wahrnehmungen ein und desselben Phänomens sind. Zufall oder nicht: Rühmann passte. Wenn das nicht lustig ist: Das cineastische Denkmal für den „kleinen Mann“ ist eigentlich eine Verbeugung vor dem schmollenden Bübchen.

Das Filmmuseum Berlin Deutsche Kinemathek zeigt vom 7. März bis zum 2. Juni eine Sonderausstellung über Heinz Rühmann. REINHARD KRAUSE, 40, ist taz.mag-Redakteur