Den Haag behindert Däubler

Verabschiedung des Völkerstrafgesetzbuchs trotz Immunitäts-Urteil geplant

FREIBURG taz ■ Das geplante Völkerstrafgesetzbuch soll noch in dieser Wahlperiode vom Bundestag verabschiedet werden. Daran hält Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) auch nach dem gerichtlichen Rückschlag von Mitte Februar fest. Damals hatte der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag die Verfolgbarkeit von ehemaligen Staatschefs und Regierungsmitgliedern stark eingeschränkt (taz vom 16. 2. 2002). Möglicherweise wurden dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch damit schon vor Inkrafttreten die schärfsten Zähne gezogen.

Das neue Gesetzbuch fasst die Strafbarkeit von Völkermord, Kriegs- und Menschlichkeits-Verbrechen übersichtlich zusammen. Neue Straftatbestände werden dabei jedoch nicht eingeführt, das Gesetz soll vor allem Ländern als Beispiel dienen, die noch gar keine entsprechenden Regeln haben. Ein Satz ist aber auch für die deutsche Praxis von großer Bedeutung: „Dieses Gesetz gilt (…) auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland hat.“

Damit will Däubler-Gmelin ein Urteil des Bundesgerichtshofs aushebeln, der ausländischen Völkermord nur dann in Deutschland verfolgen wollte, wenn bei der Tat ein deutlicher „Inlandsbezug“ gegeben war. Künftig soll bereits die Erwartung genügen, dass ein Täter in Zukunft nach Deutschland reisen wird.

Eingeschränkt wird der Nutzen des Gesetzes aber durch (ungeschriebene) völkerrechtliche Immunitäten zum Schutz des diplomatischen Verkehrs. So waren schon bisher Regierungschefs und Botschaftsangehörige vor Strafverfolgung im Ausland geschützt. Jetzt hat der IGH die Immunität auf Außenminister erweitert und – das ist entscheidend – über die eigentliche Amtszeit hinaus erstreckt. Die spanische Anklage gegen Chiles Exdiktator Pinochet wäre so zum Beispiel nicht mehr möglich.

Nur für internationale Gerichte ist die Entscheidung folgenlos. Der Prozess gegen den jugoslawischen Exstaatschef Slobodan Milošević kann vor dem UN-Jugoslawien-Gerichtshof in Den Haag also weitergehen. Auch der künftige Ständige Internationale Strafgerichtshof (IStGH), der in diesem Jahr seine Arbeit aufnehmen wird, kann ehemalige Regierungsmitglieder für Völkermord und ähnliche Delikte bestrafen.

Jedoch werden nationale Strafgerichte auch künftig von großer Bedeutung sein, um die Straflosigkeit für Diktatoren effektiv zu durchbrechen. Zum einen ist der IStGH nur für Taten zuständig, die nach seiner Errichtung in diesem Jahr begangen werden. Zum anderen reicht seine Kompetenz nur in die Länder, die das Statut überhaupt ratifiziert haben. Zum Start werden das gerade mal 60 von knapp 200 Staaten weltweit sein.

Denkbar ist, dass deutsche Gerichte den Richterspruch aus Den Haag einfach ignorieren. Denn der IGH kann nur in Einzelfällen verbindlich entscheiden. Für die Fortentwicklung des Völkerrechts sind seine Urteile nur Indizien. Von großer Bedeutung ist im Völkerrecht dagegen auch die Staatenpraxis, hier also die Rechtsprechung nationaler Gerichte. Wenn deutsche und andere Strafgerichte künftig weiter oder sogar verstärkt gegen Exdiktatoren vorgehen, dann würde damit auch unmittelbar das Völkerrecht weiterentwickelt.

Allerdings wäre es problematisch, die IGH-Rechtsprechung einfach zu missachten, schließlich haben internationale Gerichte auch eine wichtige friedenserhaltende Funktion. Deutsche Richter könnten sich deshalb darauf beschränken, das IGH-Urteil lediglich eng auszulegen. So könnte die Bedeutung der Entscheidung auf Außenminister beschränkt werden, statt sie auf alle Regierungsmitglieder anzuwenden. Verteidigungs- und Innenminister von Diktaturen, oft auch für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, könnten dann von der Immunität weiter ausgenommen werden.

Interpretationsspielraum bietet auch die IGH-Äußerung, dass die Immunität nur für Taten fortwirkt, die in Ausübung des Amts verübt wurden, während „private“ Straftaten nach Ende der Amtszeit wieder international verfolgt werden können. Regime-Taten wie Folter oder Völkermord müssten dann mit einer privaten Steuerhinterziehung oder einem Ladendiebstahl gleichgestellt werden. In diesem Sinne hatte immerhin schon das englische House of Lords Ende 1998 in seiner ersten Pinochet-Entscheidung argumentiert.

CHRISTIAN RATH