Stimmt Ja! Nein, nein! Aber warum?

aus Dublin RALF SOTSCHECK

Wer auf dem internationalen Flughafen Shannon im Westen Irlands landet, fühlt sich um zwanzig Jahre zurückversetzt. An den Laternenmasten an der Ausfahrtstraße hängen, dicht an dicht, politische Plakate. „Schützt die Frauen und rettet die Babys. „Stimmt Ja!“, steht auf den einen. Auf anderen ist zu lesen: „Babys werden sterben. Stimmt Nein!“ Ja, was denn nun?

Morgen sollen die Iren und Irinnen in einem Referendum über Abtreibung entscheiden. Es ist das das fünfte Mal in 19 Jahren. Die Schlagworte auf den Plakaten sind dieselben, wie sie es immer waren, doch diesmal sind die Trennungslinien zwischen den Interessengruppen verwischt. Wie das Volk entscheiden wird, ist ungewiss, da laut Umfragen weit über ein Drittel der Wahlberechtigten gar nicht versteht, worum es eigentlich geht.

Es ist das erste Mal, dass die Iren nicht über eine Verfassungsfrage, sondern über ein Gesetz befinden sollen, denn in der Verfassung ist das Abtreibungsverbot seit 1983 verankert. Damals stimmten zwei Drittel dafür. Es war ein überflüssiger Volksentscheid; gesetzlich verboten war Abtreibung seit 1861 ohnehin. Mit dem Referendum wollten die Abtreibungsgegner auf Nummer Sicher gehen.

Es gelang ihnen nicht ganz: Das höchste irische Gericht entschied genau heute vor zehn Jahren, dass bei Lebensgefahr für die Schwangere eine Abtreibung zulässig sei. Das Urteil bezog sich auf den traurigen „Fall X“, der weltweit für Schlagzeilen gesorgt hatte: Eine 14-Jährige war zwei Jahre lang vom Vater ihrer Freundin sexuell missbraucht und schließlich geschwängert worden. Die Familie reiste nach England zur Abtreibung. Zuvor hatten sich die Eltern bei der Polizei erkundigt, ob eine gentechnische Untersuchung des Fötus als Beweismittel gegen den Vergewaltiger vom Gericht anerkannt würde. Diese Nachfrage löste das Eingreifen der Staatsanwaltschaft aus: Der 14-Jährigen wurde per einstweilige Verfügung die Abtreibung untersagt. Die Familie kehrte unverrichteter Dinge aus England zurück, der Staatsanwalt ordnete die Überwachung der Häfen und Flughäfen an, um eine erneute Ausreise zu verhindern. Erst der Supreme Court, eine Art Verfassungsgericht, hob das Ausreiseverbot auf und entschied, dass eine Abtreibung bei Lebensgefahr für die Schwangere – und dazu zählten die Richter auch Selbstmordgefahr, die bei dem Mädchen bestand – zulässig sei.

Die 14-Jährige musste sich schließlich nicht entscheiden: Sie erlitt eine Fehlgeburt. Ihr Vergewaltiger wurde zu 14 Jahren Haft verurteilt und kam nach zwei Jahren frei. 1999 vergewaltigte er eine 15-Jährige und wurde am Freitag dafür schuldig gesprochen. Das Strafmaß wird heute festgesetzt.

Das höchstinstanzliche Urteil im „Fall X“ stürzte die Regierung in ein Dilemma. Der Richterspruch klärte nämlich weder, ob die Schwangerschaftsunterbrechungen in Irland vorgenommen werden dürfen, noch sagte er etwas über Fristen aus. In der Praxis änderte das Urteil nichts, da der Ärzteverband den Ärzten mit Ausschluss, also mit Berufsverbot, droht, falls sie eine Abtreibung vornehmen. So fahren seitdem weiterhin rund 10.000 irische Frauen im Jahr in englische Abtreibungskliniken. Die genaue Zahl ist nicht zu ermitteln, da viele Frauen englische Adressen angeben – aus Angst, dass man ihnen in der Heimat sonst auf die Schliche käme. Denn trotz der gesellschaftlichen Umwälzungen der vergangenen zehn Jahre, in denen immerhin Homosexualität und Scheidung legalisiert wurden, ist ein uneheliches Kind, jedenfalls im ländlichen Irland, noch immer ein Stigma.

Das Urteil zwang die Regierung zu handeln. Sie veranstaltete ein neues Referendum. Darin stimmte eine deutliche Mehrheit dafür, schwangeren Frauen die Reisefreiheit zu gewähren und Informationen über Abtreibungsmöglichkeiten im Ausland freizugeben. Bis dahin hatte man sich bereits strafbar gemacht, wenn man die Telefonnummer einer englischen Abtreibungsklinik weitergab, irische Ausgaben englischer Zeitschriften mussten entsprechende Stellen schwärzen. Doch in der Kernfrage fiel der Regierungsvorschlag durch: Frauenorganisationen monierten, dass eine Gesundheitsgefährdung der Schwangeren kein Abtreibungsgrund sein sollte, die Abtreibungsgegner wollten nicht einmal akute Lebensgefahr als Grund für einen Eingriff gelten lassen.

Die Politiker haben aus den damaligen Fehlern nichts gelernt. Zur Abstimmung steht morgen ein Gesetzestext, wonach Abtreibung generell verboten werden soll. Lediglich bei Lebensgefahr für die Schwangere dürfen Ärzte die Schwangerschaft unterbrechen. Diese Schwangerschaftsunterbrechung gilt jedoch nicht als Abtreibung, Gott bewahre!

Und Suizidgefährdung gilt auch nicht als Lebensgefahr; das dekretiert wenigstens der Gesetzentwurf. Dabei hat eine Untersuchung in Britannien gerade ergeben, dass Selbstmord an der Spitze der Todesursachen bei Schwangeren und jungen Müttern liegt: 27 Prozent der Frauen, die im Zeitraum zwischen Empfängnis und ein Jahr nach der Geburt des Kindes sterben, haben sich selbst umgebracht. Es liegt eben in der Natur der Sache, dass der Beweis für die Ernsthaftigkeit einer Suiziddrohung erst dann erbracht ist, wenn es zu spät ist.

Die irischen Psychologen sind in der Referendumsfrage genauso uneins wie der Rest der Bevölkerung. Der Volksentscheid hat sonderbare Koalitionen und Spaltungen herbeigeführt. Manche Antiabtreibungorganisationen plädieren für ein Ja, andere treten vehement für ein Nein ein. So zum Beispiel Dana, die in den Sechzigerjahren die erste Eurovisionsschlagertrophäe nach Irland holte. Sie wurde aufgrund ihrer zutiefst katholischen Einstellung ins Europäische Parlament gewählt. Dennoch stellt sie sich in der Referendum-Debatte gegen die Kirche, die für ein Ja eintritt. Ihr Grund: „Ich kann das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, denn das Referendum schützt das Ungeborene nicht im Zeitraum zwischen Empfängnis und Einnistung.“ Das dauert rund zwei Wochen, und Dana befürchtet, dass dadurch die Spirale und die „Pille danach“ legalisiert werden.

Das nimmt auch Premierminister Bertie Ahern an. Die unabhängige Referendum-Kommission wiederum meint, dies sei nicht der Fall: Egal, wie der Volksentscheid ausgehe, die Rechtssituation in Bezug auf Spirale und „Pille danach“ bleibt diffus. Dana monierte außerdem, dass künftig ein einziger Arzt über Lebensgefahr und Abtreibung entscheiden könne. Joe McCarroll von der „Pro-life Campaign“ traut den Ärzten ebenfalls nicht. „Man kann sich nicht mehr auf den Ärzteverband verlassen“, sagt er.

Denn auch die Ärzte sind in der Abtreibungsfrage gespalten; im vorigen Jahr hat sich eine Gruppe von Ärzten mit Forderungen nach einem liberaleren Abtreibungsregime an die Öffentlichkeit gewagt. McCarroll sagt: „Falls ein Arzt die Spirale oder die Pille danach verschreibt, muss er wegen Mordes zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt werden.“

Ebenso unklar ist, was in einem erneuten „Fall X“ geschehen würde. Vor fünf Jahren gab es den „Fall C“: Eine 13-Jährige, die von einem 24-jährigen Bekannten vergewaltigt und geschwängert worden war, wurde von den Behörden in Pflege genommen, weil die Lebensbedingungen bei ihren Eltern akut gesundheitsgefährdend waren. Das Mädchen lebte mit den Eltern und elf Geschwistern am Straßenrand in zwei Wohnwagen. Die Behörden brachten das Kind in eine englische Abtreibungsklinik, weil sie selbstmordgefährdet war. Das war durch das Urteil im „Fall X“ gedeckt. Das sei es auch weiterhin, sagt die Regierung, doch Rechtsexperten widersprechen dieser Ansicht: Wenn Selbstmordgefahr per Referendum am Mittwoch als Abtreibungsgrund ausgeschlossen werde, dürfe keine irische Behörde in einem solchen Fall bei einer Abtreibung assistieren.

So haben sich Frauenorganisationen, verschiedene Anwälte und Ärzte, die Grünen, die Labour Party und Sinn Féin, der politische Flügel der Irisch-Republikanischen Armee, zusammengeschlossen und propagieren, ebenso wie die radikalen Abtreibungsgegner, ein Nein im Referendum.

Die Regierungskoalition hat die Unterstützung der katholischen Kirche. Die Bischöfe wissen, dass sie im Irland des 21. Jahrhunderts, in dem sich der regelmäßige Besuch der Messe innerhalb von zehn Jahren auf 40 Prozent der Bevölkerung halbiert hat, nicht auf ein noch rigoroseres Abtreibungsverbot hoffen können.